03.09.2023
Predigt über 1. Johannes 4, 7-21
Heinrich Bedford-Strohm am 3.09. 2023 in der Eisneacher Nikolaikirche im Rahmen der Tagung der Internationalen Bonhoefer Gesellschaft
Predigt am 3.9.23 in Eisenach zur Tagung der ibg.
1. Joh 4,7-21
Ihr Lieben, lasst uns einander lieb haben; denn die Liebe ist von Gott, und wer liebt, der ist von Gott geboren und kennt Gott. Wer nicht liebt, der kennt Gott nicht; denn Gott ist die Liebe. Darin ist erschienen die Liebe Gottes unter uns, dass Gott seinen eingebornen Sohn gesandt hat in die Welt, damit wir durch ihn leben sollen. Darin besteht die Liebe: nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsre Sünden. Ihr Lieben, hat uns Gott so geliebt, so sollen wir uns auch untereinander lieben. Niemand hat Gott jemals gesehen. Wenn wir uns untereinander lieben, so bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist in uns vollkommen.
Liebe Schwestern und Brüder,
als ich mit dem Vorstand der Internationalen Bonhoeffer Gesellschaft den Titel des Festvortrags vereinbarte, den ich gestern Abend zu halten hatte, hat niemand von uns gewusst, welchen Predigttext die Perikopenordnung für den heutigen Sonntag vorsehen würde. Wir haben uns dann für einen Titel entschieden, der die Liebe als zentralen Maßstab für das Kirchesein ins Zentrum rückt. „Radikal lieben“.
Erst bei der unmittelbaren Vorbereitung unserer Tagung habe ich gemerkt, dass auch der Predigttext, der mir für heute von der Perikopenordnung aufgegeben ist, ein Text über die Liebe ist. Und es ist nicht nur ein Text über die Liebe. Sondern Gott und die Liebe werden miteinander identifiziert!
Gott ist die Liebe! Welch eine Aussage! Nicht: Gott liebt mich, wenn ich dieses oder jenes tue. Oder: eine der Eigenschaften Gottes ist die Liebe. Nein, da steht wirklich: Gott ist die Liebe! Wenn wir in Predigten oder in kirchlichen Stellungnahmen Gott mit der Liebe identifizieren, kommt schnell der Vorwurf der Verharmlosung Gottes als Kuschelgott auf. Angesichts der Abgründe, die Menschen erfahren, angesichts des Leidens, das an so vielen Orten der Welt überhandzunehmen droht, wird eingefordert, auch von der dunklen Seite Gottes zu sprechen, auch den Zorn Gottes nicht zu verschweigen. In der Pandemie sind sogar Stimmen laut geworden, die dahinter eine Heimsuchung Gottes sehen zu können meinten.
Solchen Stimmen kann man mit dem 1. Johannesbrief nur leidenschaftlich entgegenrufen: Hört auf, hinter dem Leid der Welt einen deus ex machina zu sehen, der den Menschen, wo er es für geraten hält, ein Virus entgegenschleudert oder der den Menschen zur Prüfung oder um ihres inneren Wachstums willen abgründiges Leid bereitet, indem er auf die Bomben-Knöpfe drückt! Hört auf, Gott als zynischen Marionettenspieler zu präsentieren, der den Lauf der Welt lenkt und eben auch schreckliche Kriege in das Weltdrama einbaut! Hört auf, einen solchen Gott als den Gott Jesu Christi auszugeben! Er hat nichts mit ihm zu tun! Denn „Gott ist die Liebe“!
Gott will nicht den Tod, sondern das Leben! „Darin“ – sagt der 1.Johannesbrief –„ist erschienen die Liebe Gottes unter uns, dass Gott seinen eingebornen Sohn gesandt hat in die Welt, damit wir durch ihn leben sollen.“ Mit diesem Satz sind alle Missverständnisse ausgeschlossen. „Darin besteht die Liebe: nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsre Sünden.“
Es ist ein historisch fatal wirksames und gerade deswegen schreckliches Missverständnis, wenn der Kreuzestod Jesu immer wieder als Ausdruck des Zornes Gottes und als von Gott selbst verursachter Akt der Gewalt verstanden wurde und manchmal noch immer wird. Aber nicht Gott tötet Jesus, sondern die Menschen töten ihn. Und in Christus erleidet Gott selbst die Gewalt, erfährt Gott selbst die Ohnmacht der Gewaltopfer, nimmt Gott selbst diese Ohnmacht und die damit verbundene Verzweiflung in sein eigenes Wesen auf. Und genau deswegen ist Gott mittendrin, wenn für uns mit dem Tod eines lieben Menschen die Welt zusammenbricht, wenn im Nordosten Kenias eine Mutter ihr verdurstendes Kind im Arm hält, wenn Menschen in den Ruinen von Bachmut und in den Schützengräben an der Front an der Sinnlosigkeit des Krieges verzweifeln und vielleicht selbst den Ruf Jesu am Kreuz ausstoßen: Mein Gott mein Gott, warum hast du mich verlassen!? Gott ist mittendrin in all diesem Leiden der Welt, aber nicht als Verursacher des Leids, als Täter der Gewalt, sondern als einer, der an der Seite der Opfer steht.
Christus hat der Gewalt nicht Gegengewalt entgegengesetzt, sondern hat sich der Ohnmacht ausgeliefert. Und dann dieses Geheimnis, das wir nie ganz verstehen werden, dessen Faszination wir uns aber nicht entziehen können und dem wir mit unser ganzen Leben nachspüren dürfen: der Tod war nicht das letzte Wort. Aus der Ohnmacht ist eine neue Macht entstanden, die so stark war, dass sie den Tod besiegt hat: Christus ist auferstanden!
„Darin ist erschienen die Liebe Gottes unter uns, dass Gott seinen eingebornen Sohn gesandt hat in die Welt, damit wir durch ihn leben sollen… Wenn wir uns untereinander lieben, so bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist in uns vollkommen.“ Von der gelebten Liebe ist hier die Rede, von einer gelebten Liebe, die die Kraft hat, die Welt zu verändern. Nirgendwo im letzten Jahr habe ich die Wahrheit dieser Worte stärker erfahren als bei einem Ereignis, das für die Kirche in Deutschland von historischer Bedeutung war und das auch für mich ganz persönlich eine unerwartete biographische Bedeutung gewonnen hat.
" Die Liebe Christi bewegt, versöhnt und eint die Welt ": das war das Motto der 11. Vollversammlung des Weltkirchenrats in Karlsruhe vor genau einem Jahr. Und wir haben die Wahrheit dieses Mottos erfahren. Tausende von Menschen waren da zusammen, die aus völlig unterschiedlichen nationalen und kulturellen und konfessionellen Hintergründen kamen und doch zu einer großen Gemeinschaft wurden. Es wurde heftig gestritten, immer wieder gab es Situationen, in denen sich nicht zu überwindende Gräben auftaten. Aber immer wieder hat die Liebe Christi uns zusammengeführt. Wir haben gebetet und die Kraft der Liebe gespürt, die davon ausging. Wir haben jeden Tag Gottesdienste gefeiert, mit inspirierenden Worten und freudevollen Gesängen und in Bewegung versetzenden Rhythmen.
Es war viel von der „Ökumene des Herzens“ zu spüren, die zum Kernbegriffs des in Karlsruhe verabschiedeten Einheitsdokumentes geworden ist, jener Ökumene des Herzens, die von nichts mehr lebt als von dem, was dieses Wort aus dem 1. Johannesbrief zum Ausdruck bringt: Gott ist die Liebe. So oft quetschen wir Gott in irgendwelche Doktrinen. Der Fokus liegt dann darauf, dass man bestimmte Lehrinhalte glauben soll. Dass man die Lehren der eigenen Konfession gegen die der anderen Konfessionen durchsetzen und verteidigen soll. Das Ergebnis sind Spaltungen in der Kirche, die in tiefem Widerspruch zur Liebe unseres einen Herrn Jesus Christus stehen, der uns nicht zur Spaltung, sondern zur Einheit und Versöhnung führt. Die Liebe Jesu Christi konzentriert sich nicht auf Regeln und Doktrinen, sondern auf die Menschen und Gottes Liebe zu den Menschen.
Wenn ich verstehen will, wie diese Liebe in einer Welt wirkt, in der doch so viel Hass und Gewalt ist, dann denke ich an eine berühmte Geschichte aus dem ersten Buch der Bibel, die wir alle kennen und in der es um Gottes Reaktion auf die Ursünde der Gewalt der Menschen geht.
Am Ende des Schöpfungsberichtes im ersten Kapitel der Bibel heißt es: "Und siehe, es war sehr gut". Aber gleich danach ist von diesem "sehr gut" nichts mehr übrig. Die Menschen missachten die Gebote, die Gott ihnen gegeben hat und die in der Liebe Gottes wurzeln. Sie handeln an Gott und aneinander in einer Weise, dass Gott eigentlich jede Freude an ihnen verlieren müsste. Kain tötet seinen Bruder Abel, weil er auf ihn eifersüchtig ist. Das Volk Gottes tanzt um das goldene Kalb. Sie beten das Geld an, anstatt für die Schwachen einzutreten, wie es die Gebote Gottes verlangen. Ja - Gott könnte wirklich die Liebe zu seinem Volk verlieren.
Und wir finden in der Bibel auch immer wieder Texte, in denen Gott straft - und oft genug mit Gewalt. Aber - und das, liebe Brüder und Schwestern, ist das Faszinierende - Gott verändert sich. Gott verändert sich in seiner Beziehung zu den Menschen. Am Ende ist die Liebe stärker.
Besonders deutlich wird das an einer Stelle in der Bibel, die die meisten von uns schon im Kindergarten oder der Grundschule kennengelernt haben. Ich meine die Geschichte von der Sintflut. Als der Herr sah, so heißt es da - dass der Menschen Bosheit groß war auf Erden und alles Dichten und Trachten ihres Herzens nur böse war immerdar, da reute es den Herrn, dass er die Menschen gemacht hatte auf Erden, und es bekümmerte ihn in seinem Herzen, und er sprach: Ich will die Menschen, die ich geschaffen habe, vertilgen von der Erde, vom Menschen an bis hin zum Vieh und bis zum Gewürm und bis zu den Vögeln unter dem Himmel; denn es reut mich, dass ich sie gemacht habe.“ So habe ich mir die Menschen nicht vorgestellt - sagt Gott. Sie haben nichts anderes im Sinn als Gewalt und Täuschung und Betrug.
Aber Gott bringt es nicht übers Herz, die Erde zu vernichten. Gottes Liebe zu den Menschen und zur ganzen Schöpfung ist zu stark. Und so gibt Gott Noah den Auftrag, die Arche zu bauen und das Leben durch die Flut hindurch zu bewahren.
Das Faszinierendste aber ist der Blick in die Zukunft. Mit der gleichen Begründung, mit der Gott die Schöpfung vernichten wollte, will er nun für immer treu sein: „Ich will die Erde nicht mehr verfluchen um der Menschen willen; denn das Trachten ihres Herzens sind böse von Jugend auf. Und ich will nicht mehr alles, was lebt, schlagen, wie ich es getan habe. Solange die Erde steht, sollen nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht."
Und dann setzt Gott den Regenbogen an den Himmel. Bis heute ist er für uns das Zeichen, dass Gott angesichts unserer Sünde kein Todesurteil spricht, sondern ein Lebensurteil gesprochen hat und es jeden Tag neu für uns spricht!
Bei mir wirkt es, dieses Zeichen Gottes. Als ich von der Vollversammlung des Weltkirchenrats in Karlsruhe nach Hause gefahren bin und versucht habe, in meiner Seele zu begreifen, dass ich wenige Stunden vorher für die nächsten acht Jahre zum Moderator gewählt worden war und nun die 580 Millionen Christinnen und Christen zu vertreten haben würde, die den 352 Mitgliedskirchen in aller Welt angehören, und als ich mich gefragt habe, ob ich die Erwartungen erfüllen können würde, die mit der Übernahme dieses Amtes in mich gesetzt würden, da war plötzlich ein riesengroßer Regenbogen am Horizont zu sehen. Und wenn es jetzt einmal schwierige Situationen gibt, dann denke ich an diesen Regenbogen und daran, dass Gott mich mit seinem Segen auf meinem Weg auch ganz persönlich begleitet.
Gott hat sich festgelegt – auf die Liebe!
Gott hat eine endgültige und ewige Zusage gemacht. Im liebenden Leben Jesu Christi, in Jesu Weg ans Kreuz in Solidarität mit allen Bedrängten und Schwachen dieser Welt und in Jesu Auferstehung als der großen Hoffnung für die Welt hat Gott eine endgültige Zusage gemacht, uns für immer zu lieben. So dass der Verfasser des Johannesbriefes viel später sagen kann: "Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm".
Wer das begreift, liebe Brüder und Schwestern, wer begreift, wie viel Gutes uns täglich von Gott geschenkt wird, der kann gar nicht anders, als etwas davon an den Nächsten weiterzugeben.. Niemand hat diese Dynamik der Liebe Gottes zur Liebe unter den Menschen schöner ausgedrückt als Martin Luther in seiner Schrift "Von der Freiheit eines Christenmenschen" "Sieh, so fließ aus dem Glauben die Liebe und die Lust zu Gott, und aus der Liebe ein freies, williges Leben dem Nächsten umsonst zu dienen."
Werden wir Zeuginnen und Zeugen dieser ewig treuen Liebe in dieser verwundeten Welt sein? Werden wir das Salz der Erde und das Licht der Welt sein, wozu Jesus uns berufen hat?
Lasst uns diese Berufung annehmen. Möge Gott uns dabei mit seinem Segen begleiten. Und möge Gott uns die Liebe Gottes spüren lassen. Möge Gott uns spüren lassen, was der 1. Johannesbrief so wunderbar sagt: "Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm".
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. AMEN