28.10.2013
Predigt von Dr. Christian Staffa am 27. Oktober 2013
im Rahmen der Predigtreihe "Reformation und Toleranz" in der Eisenacher Nikolaikirche.
Predigt 22. Sonntag nach Trinitatis, 27.10. 2013 in Eisenach, Dr. Christian Staffa, Berlin
Micha 6, 6-8
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen Amen.
Liebe Gemeinde, zunächst danke ich Ihnen herzlich, dass Sie mich eingeladen haben. Es ist mir eine große Ehre und Freude im Rahmen der Reihe Reformation und Toleranz hier in Ihrer schönen Nikolai Kirche predigen zu dürfen. Und das auch noch so kurz vor dem Reformationstag und zu einem so wunderbaren Text wie dem des Propheten Micha, der zu Beginn des 6. Kapitels einen Dialog inszeniert zwischen Gott und einem Menschen aus Israel.
Gott fragt da zornig aber auch etwas verzweifelt: Mein Volk, was habe ich dir getan? Womit habe ich dich ermüdet? Was eine Frage? Gott fragt, was uns müde macht?
Angesichts der Befreiung aus Ägypten, der Gabe der Gebote, des Tempels und der Prophetie durch Mose Aaron und Mirjam zum Erweis seiner gerechten Taten versteht er überhaupt nicht, warum das Volk nicht auf seinen Wegen wandelt, nicht treu läuft auf dem Weg seiner Gebot.
Es scheint, als verstehen die Angesprochenen, was Gott da sagt und reagieren betroffen. Wie können sie denn sich angemessen verhalten angesichts der Befreiung und Begleitung durch den Gott ihrer Väter und Mütter, der sie heraufgeführt hat aus Ägypten?
Mit diesen Fragen beginnt dann unser Abschnitt in Vers 6. Ich lese aus der Übersetzung der Bibel in gerechter Sprache, die anstelle des Hebr unaussprechbaren Gottesnamen auch Adonai sagt:
Vv 6-8
Womit soll ich Adonai entgegentreten, mich beugen vor Gott in der Höhe? Soll ich Gott entgegentreten mit Brandopfern, mit einjährigen Kälbern? Hat Adonai Gefallen an Tausenden von Widdern, an unzähligen Strömen von Öl? Soll ich mein erstgeborenes Kind für meine Verfehlung geben, die Frucht meines Leibes für mein sündiges Leben?
Gott hat dir gesagt, Mensch, was gut ist, und was Adonai von dir fordert: nichts Anderes als Recht tun und Güte lieben und besonnen mitgehen mit deinem Gott.
Was ein wunderschöner Satz: es ist dir gesagt, Mensch, was gut und ist, Recht tun, Güte lieben und besonnen mitgehen mit deinem Gott.
Hier hören wir eine wunderbare Verschränkung von Recht, Liebe und einem sanften Weg, des sich Einlassens auf Gott. Kein Fels in der Brandung hier, der sicher auch manchmal seine Berechtigung hat, nein, ein Weg mit Gott. An dieser Stelle ist der deutlichste Unterschied zur Luther Übersetzung, die sagt, „demütig sein vor deinem Gott“. Hier ist wieder zu spüren, das übersetzen auch immer Interpretation ist. Im hebr Text steht, fast könnte ich sagen bewegt sich das Wort (lechet). Demütig als Übersetzung kann sein, aber es gibt auch andere Möglichkeiten, die nicht gegen demütig sich stellen, aber Anderes betonen: achtsam mitgehen, bescheiden, behutsam. Was ein Bild: achtsam, behutsam, besonnen mitgehen mit deinem Gott!
Welch ein Gegenbild zur verzweifelten Suche nach Möglichkeiten, dem Handeln Gottes zu entsprechen durch Opfergabe von 1000enden Tieren, Strömen von Öl oder gar den Erstgeborenen. Aber wie es schon bei Hosea heißt: „Güte will ich, nicht Schlachtopfer, Gotteserkenntnis mehr als Brandofer“ Hos 6,6.
Das Menschenopfer verbietet sich sowieso seit Isaak von Gott gerettet wurde.
Sie, die da aus dem Exil wieder nach Israel gelangten, suchen also die Gottesbegegnung mit den falschen Mitteln. Sie fühlen, dass Gott mit seiner Frage nach dem Grund ihrer Ermüdung gleichsam ins Schwarze trifft, Er hat wohl Recht damit, verständnislos auf die Undankbarkeit dieser aus dem Exil Heimgekehrten zu schauen, und auf das Wunder ihrer Befreiung und Begleitung zu verweisen, eben bis zu dem heutigen Tag – das gilt gegen Luther damals wie heute.
Sie sehen diese Gaben, die Gabe des Lebens vor sich und wissen nicht wie darauf antworten. Es fallen ihnen teure Dinge ein, bis hin zum Teuersten. Aber das ist es nicht. Denn es ist euch doch gesagt Menschen was gut ist…
Gott weist sie zurück und aber auch auf einen Weg!
Auch deshalb ist es falsch, Israel aufgrund solcher verfehlten Antwort auf Gottes Tun wie weiland Luther, die Gottesbeziehung abzusprechen. Luther sieht da nur noch Ungehorsam und Irrtum und hohlen Ruhm, am Ende berechtigte Zerstörung und Vertreibung.
Das sei ferne!-wie Paulus sagen würde.
Luther findet dafür die unglaublichsten Worte und die sind so erschütternd, dass das Wort Toleranz sich sträuben müsste mit Reformation gepaart zu werden. „Der Teufel hat dies Volk mit allen seinen Engeln besessen, dass sie immer die äußerlichen Ding, ihre Gaben, ihr Tun und werk vor Gott rühmen, das ist die leeren Hülsen opfern, die soll er ansehen und sie darumb zum Volk haben.“ So übrigens tun auch die Türken, die Papisten und die Rotten. In dieser Schrift „Wider die Jüden und ihre Lügen“ lässt er kein Ressentiment aus und verweist darauf, dass Gott sein Volk verworfen hat, was man ja sehe, weil die Römer sie vertrieben und ausgerottet hätten und sie seit 1500 Jahren kein Land mehr haben. Wer mal den Mut – und das meine ich ernst, denn es braucht Mut sich dieser Schrift auszusetzen - hatte, diese Schrift zu lesen, weiß, dass das dann endet mit seiner Aufforderung, Synagogen zu verbrennen und ihre Bücher wegzunehmen.
Ein reformatorisch nationaler Fundus für die Dunkelmänner des Nationalsozialismus, darunter, wer wüsste das in Eisenach nicht, auch nicht wenige protestantische Theologen. Und noch einmal, allein dass Israel prophetische Kritik erfährt, ja tatsächlich auch Krieg und Verwüstung und immer wieder abfällt von Gott, darf uns nicht dazu verleiten, uns als Christen über Israel zu erheben. Im Gegenteil, wir lernen wie barmherzig Gott sich Israel immer wieder zuwendet und ja auch uns. Dürfen wir doch trotz dieser Verfehlungen Luthers heute noch von dieser Reformation, ja sogar von Reformation und Toleranz sprechen und nicht nur sprechen, sondern auch als Kirche, als Gemeinde miteinander tun. Also nicht Selbstruhm, sondern behutsame Solidarität der Gemeinschaft der Sünderinnen und Sünder, derjenigen, die die Ziele der Gerechtigkeit Gottes immer wieder verfehlen, gleichwohl nicht aufgeben, hoffentlich. Irrtümer auf diesem Weg sind Teil unserer Existenz, Teil der Erzählung von dem Weg Israels mit seinem Gott und auch unsere historische Erfahrung als Christen.
Aber was denn ist nun unsere Antwort auf das Geschenk des Lebens, auf die Zusage, dass wir angenommen sind bei Gott, dass wir hinzukommen dürfen zu dem Gott Israels, an seinen Geboten teilhaben, Orientierung finden. Glauben wir das wirklich? Empfinden wir das als Geschenk, können wir das denken, dass wir durch und mit Israel Hoffnung in Jesus Christus haben dürfen? Spüren wir das Geschenk, dass wir nicht mit uns allein sind und mit dem Tod? Dass wie angefochten auch immer wir glauben dürfen und im Anderen in der Anderen das Antlitz Gottes sehen können, dürfen. Spüren wir das Befreiende an dieser Geschichte Israels, raus aus dem Sklavenhaus, Jesus Nachfolge? Wir dürfen das glauben. Und wir wären ja alle nicht hier, wenn wir es nicht gemeinsam versuchen wollten, einige fester und klarer, andere unsicherer und tastender, manche zweifelnd, manche neugierig auf immer neue Entdeckungen auf dem Weg.
Aber wie zeigt es sich? Was könnte das Gute heute ein: auf der Arbeit im Umgang mit Chef und MitarbeiterInnen, im Gespräch über die Zukunft Europas, im Großen wie im Kleinen, Energiewende, Verfassungsschutz, Wirtschaftskrise, die Toten im Mittelmeer, die EKD Schrift zu Familie, die Neonazis, der Stammtisch, ach Gott das ist alles zu viel, wie sollen wir denn, das geht doch gar nicht, die Großen gewinnen ja doch… und am Ende nützt es doch nichts, der Mensch ist eben allzumal Sünder oder Sünderin. Oder auch: Ohhh da müssen wir erst mal lange nachdenken, da kann mensch viel falsch machen, das ist total kompliziert, das sollten wir sehr sorgfältig bedenken.
Wie übersetzen wir uns dahinein Micha? Ja, wir müssen über setzen, wie von einem Ufer zu einem anderen, übersetzen.
Es ist dir gesagt Mensch was gut ist: Recht tun! Zunächst wichtig, wir sollen nicht in unser Köpfen und Herzen kramen, um rauszubekommen, was gut ist. Da ist es nicht. Es muss uns gesagt werden, es kommt nicht aus dem Bauch, sondern von außen.
Für die Rabbinen ist das die Kurzformel für die 613 Gebote, die letztlich am Sinai mündlich gegeben, aber doch auch je und je ausgelegt werden müssen. Von Matthäus haben wir klare Worte gehört, in wem uns Jesus insbesondere begegnet im Hungrigen, im Kranken, im Gefangenen und im Fremden. Aber wir können ja auch nicht einfach naiv losziehen und ins Krankenhaus gehen, oder ins Gefängnis und Besuche machen. Mit dem Recht Tun werden wir darauf gestoßen, dass es tatsächlich für uns, für Gott um Recht und Gerechtigkeit geht und wir lernen von Gottes Parteilichkeit als Orientierung für Recht. Es ist nämlich nicht die blinde iustitia, im Idealfall heutiger Rechtsprechung: Recht ohne Ansehen der Person. Es ist parteiliches Handeln für die Schwachen. Die Flüchtlinge, die in Italien angekommen sind und es nun nach Deutschland geschafft haben, rechtlich vor der blinden iustitia müssen sie nach Italien zurück, so sind die wahrlich nicht sehr guten Gesetze. Biblisch sind wir ermutigt, sie aufzunehmen, wenn es irgend geht. So wie es in HH St. Pauli nun passiert. Recht im biblischen Sinne ist nicht unparteiisch. Da sind die Witwen und Waisen, die Sklaven und Geknechteten, die Armen, die Hungern und Dürsten jene, an denen wir Recht tun und für die wir Recht einfordern sollen und dürfen. Ob wir da immer das Richtige konkret tun, wissen wir nicht, dafür gibt es keine Anweisung, das achtsam auszuloten ist dieser Weg, miteinander, mit der Zeitung, mit der Schrift, mit Gott.
Güte lieben! Recht ohne liebende Güte ist kalt. Freundlich sein, denn Gott ist sehr freundlich, nicht verbiestern, liebend auf die anderen schauen. Das scheint manchmal nicht Teil protestantischer Kultur, wirklich freundlich zu sein, wirklich zugewandt und ernstnehmend wie humorvoll, dem oder der anderen den Weg leicht machen. Oft sind wir so mit „das Rechte tun“ – zumindest glauben wir das - beschäftigt, dass uns Zeit für die Freundlichkeit fehlt. Dann wird der volle Terminkalender zur Barriere und als Beweis angeführt, wie sehr ich auf dem Pfad des Tuns und natürlich der Tugend wandle. Manchmal gibt es auch den verbissenen Kampf gegen den Rest der Welt, die ja wirklich nicht sehr an der Gerechtigkeit Gottes orientiert ist - aber sie wird durch Verbissenheit nicht besser.
Achtsam, besonnen, behutsam mitgehen mit deinem Gott. Und wieder ist zu sagen, natürlich gibt es biblisch auch andere Bilder, von Gott als dem unnahbaren Gegenüber, aber ja auch immer wieder auch den Nahen, der nicht im Himmel oder überm Meer ist.
Ja, das Tun ist eine Begegnung mit Gott, wie es in Matthäus auch eine Begegnung mit Jesus ist. Im Tun ist nicht nur Begegnung von Mensch zu Mensch, sondern auch von Mensch zu Gott, für Israel direkt, für Christen vermittelt durch die Begegnung mit Jesus Christus im Geringsten seiner Geschwister. Das ist Bewegung, sicher wie der Alttestamentler Jürgen Ebach sagt, ein Gehen mit unterschiedlicher Schrittlänge, aber eben ein Gehen, kein Starres Sein vor Gott, sondern ein Suchen nach Wegen. Im Jüdischen heisst der Textteil des Talmuds, der um Rechtsauslegung kreist, Halacha, der Weg. Ein Weg, von dem wir lernen können. Wir sind also auf diesem schwierigen Weg der Suche nach dem angemessenen liebenden Tun, nicht orientierungslos, nicht wie die Spreu verweht und nicht sitzend, wie die Spötter, die alle verlachen, die glauben, etwas Gutes tun zu können. Achtsam, behutsam, nicht mit wehenden klerikalen Fahnen, nicht laut von uns überzeugt, das Ziel die Mittel heiligend. Nein eher im Gespräch, wissend, dass es immer zwei sinnvolle Wege gibt, Schrift und Welt zu verstehen, auf die mitgehenden und stehenden achtend, behutsam und doch streitbar.
Wir hören da, was Gott von uns fordert, wir wissen um sein Gericht, von dem Matthäus spricht, und wir wissen um seinen Beistand. Fällt eines von beidem weg werden wir matt und beliebig, das passiert ja unserer Kirche nicht selten.
Johann Sebastian Bachs Kantate45 zu Micha fasst das zusammen sagt uns kurz vor ihrem Ende eindringlich:
„Des Herren Wille muss geschehen,
doch ist sein Beistand auch gewiss,
dass er sein Werk durch mich mög wohl vollendet sehen.“
Liegt etwas näher, als am Schluss einer Predigt in Eisenach zu diesem prophetischen Text der hebräischen Bibel mit Schalom Ben Chorin, der selbst aus München aber seine Frau Avital aus Eisenach kommt und in diesem Jahr ihren 90 Geburtstag feiern konnte, zu schließen „Möchten die Christen doch erkennen, was Paulus im Römerbrief so deutlich gesagt hat: Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich.“ (Jesus und Paulus in jüdischer Sicht, Gütersloh 2006, 164.)
Für diese Erkenntnis, für diese Wurzel und ihre Gegenwart dankbar zu sein, das ist eine sinn- und gottgefällige, wie auch dringliche Ergänzung der Reformation. Denn es ist uns gesagt, was gut ist und was Gott von uns fordert, Recht tun, die Güte lieben und behutsam mitgehen mit unserem gemeinsamen Gott.
Amen.