04.11.2011
Predigt von Landesbischöfin Ilse Junkermann am 31. Oktober 2011
im Festgottesdienst zum Reformationsfest und der Eröffnung des Themenjahres "Reformation und Musik" in der Georgenkirche zu Eisenach.
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und unserm Herrn Jesus Christus. Amen.
Predigttext: Matthäus 10, 26-33
26 Darum fürchtet Euch nicht vor ihnen!
Es ist nichts verborgen, was nicht offenbar wird, und nichts geheim, was man nicht wissen wird.
27 Was ich euch sage in der Finsternis, das redet im Licht; und was euch gesagt wird in das Ohr, das predigt auf den Dächern.
28 Und fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, doch die Seele nicht töten können; fürchtet euch aber viel mehr vor dem, der Leib und Seele verderben kann in der Hölle.
29 Kauft man nicht zwei Sperlinge für einen Groschen? Dennoch fällt keiner von ihnen auf die Erde ohne euren Vater.
30 Nun aber sind auch eure Haare auf dem Haupt alle gezählt.
31 Darum fürchtet euch nicht; ihr seid besser als viele Sperlinge.
32 Wer nun mich bekennt vor den Menschen, den will ich auch bekennen vor meinem himmlischen Vater.
33 Wer mich aber verleugnet vor den Menschen, den will ich auch verleugnen vor meinem himmlischen Vater.
Liebe Festgemeinde! Liebe Geschwister!
(I.) Finsternis: Dunkel ist es. Fast nichts zu sehen. Erst nach einer langen Weile in dieser Finsternis sind Umrisse und Schatten zu erkennen. Dunkel ist es. Auch kaum zu hören ist etwas. Da knistert es. Dort knackt es. Und jetzt? Sind das Schritte?
Die Blätter in den Bäumen rauschen. Und von fern –ist das ein Hundebellen? Irgendwo schlägt eine Tür.
Da – ein Flüstern. Es kommt nahe. Liebevoll und sanft legt sich eine Hand auf den Rücken. Und dann Worte ins Ohr, geflüstert mehr als gesprochen.
Was ich euch sage in der Finsternis, .....
und was euch gesagt wird in das Ohr, ....
Wie ist das, im Finstern zu hören?
Wie ist das, etwas leise ins Ohr gesagt bekommen? Ein Geheimnis. Nur für mich bestimmt?
Jedenfalls: mir gesagt. Zu mir gesprochen.
Wie gut tut ein solches Wort, im Finstern vernommen. Wie tröstlich kann da ein leises Wort sein. Welches haben Sie schon einmal im Finstern gehört? Welches hat Sie schon einmal in einem Trauerdunkel getröstet?
"Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden?"
Oder:
"Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig."?
oder:
"Fürchte Dich nicht! Ich habe Dich bei Deinem Namen gerufen, Du bist mein!"
Und welches Wort hat in einer Resignationsfinsternis zu Ihnen gesprochen?
"Die Völker werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen" (Jes 2,4).
Oder:
"Recht und Gerechtigkeit sollen fließen wie Wasser!"
Wie gut tut es, wenn ein Wort zu einem spricht, wenn ein Wort einen anspricht, gerade im Finstern.
Wie gut, wenn Gottes Geist mir ins Ohr flüstert, gerade dann, wenn ich nicht weiter sehen kann als ein paar Schemen und Umrisse.
Wie gut, wenn ich aus einem Wort die Richtung vernehme, in die es gehen soll – gerade in bedrängender Situation!
Ja, Worte im Finstern tun gut, Worte, die trösten, die Hoffnung geben, die eine schöne Aussicht vor Augen stellen – solche Worte tun gut.
Es gibt viele solche Gottes- und Jesusworte. Und ein Glück, wenn ich sie vernehme und sie in mich fallen.
(II.)
Und dann: Nach jeder Finsternis – wird es irgendwann hell. Dann, im Hellen: da kann ich sehen, klar sehen und weit. Nun gilt es, zu bekennen. Ohne Menschenfurcht das weitersagen, was ich gehört habe. Laut und hell. Weithin soll es schallen. Von den Dächern soll es kommen und öffentlich werden.
Jetzt braucht es Mut. Jetzt braucht es freien Mut. Denn nun gilt es, zu bekennen. Ohne Menschenfurcht zu stehen. Hinstehen und aufstehen, fest stehen und klar und deutlich sprechen. Laut werden lassen, was ich gehört habe. Weitersagen, was er mich hat hören lassen. Einstehen für Gottes Wort, für Jesu Wort.
Was ich euch sage in der Finsternis,
das redet im Licht;
und was euch gesagt wird in das Ohr,
das predigt auf den Dächern.
Jetzt zittern die Knie. Kann ich so fest stehen und auftreten?
Werde ich nicht schwanken? Werde ich nicht eher sehr wankelmütig statt so freimütig sein? Wie gelingt es, dunkle Drohgebärden um einen herum, hinstehen und sagen: "Hier stehe ich. Ich kann nicht anders. Gott helfe mir. Amen."?
Wie gelingt es, aufrecht zu bleiben – inmitten von finstrer böser Zeit?
Wie kann einer so klar sagen: "Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen"? – wie Dietrich Bonhoeffer in seine Kirche und in die Gesellschaft hinein sprach, 1933.
Wie kann ein MLKing in aussichtslos rassistisch verengter Gesellschaft sagen: "Ich weigere mich, die Ansicht anzuerkennen, dass die Menschheit derart tragisch in die sternlose Mitternacht von Rassismus und Krieg verstrickt ist, dass der helle Tagesanbruch von Friede und Brüderlichkeit niemals Wirklichkeit werden kann."
So viel Festhalten an der Hoffnung auf Gottes Welt – das beeindruckt.
Klare Worte - am helllichten Tag und ohne Furcht und Scheu gesprochen.
Könnte ich das auch? Könnten Sie das auch? Jesus spricht ja im heutigen Predigttext jeden Jünger und jede Jüngerin an. Ohne Ausnahme:
32 Wer nun mich bekennt vor den Menschen, den will ich auch bekennen vor meinem himmlischen Vater.
33 Wer mich aber verleugnet vor den Menschen, den will ich auch verleugnen vor meinem himmlischen Vater.
Wie hart klingen die Worte. Wie ernst sind sie gemeint! Solches Bekennen – wie geht das?
Kann ich mit Jesu Botschaft hinstehen, wenn’s drauf ankommt? Können Sie für Jesu Botschaft hinstehen, wenn’s drauf ankommt?
Können das nicht nur ganz besondere Menschen?
(III.)
Wer so hinsteht, braucht festen Boden unter den Füßen. Doppelt gefestigten Boden. Wenn wir auf die großen Bekenner sehen, können wir ihn erkennen.
Da ist die eine Schicht, die den Boden fest macht. Sie bildet sich, wenn ein Mensch Dunkelheit sieht, hinsieht, dort hin geht, wo es finster ist und das benennt, was Menschen Angst macht: Angst vor der Hölle – im Jenseits wie im Diesseits. Diese Schicht bildet sich, wenn einer die Finsternis aushält. Das macht Bekennen stark. Im Finstern auf ihn hören. Dorthin gehen, wo es finster ist. Dort im Dunkeln seinen Worten lauschen und ihnen trauen – das gibt die Kraft zum öffentlichen und freimütigen Bekennen.
Finsternis – das beginnt für Martin Luther und die ganze reformatorische Bewegung mit dem Paulus- Satz aus der heutigen Epistellesung: "Wir sind allesamt Sünder und mangeln des Ruhmes, den wir bei Gott haben sollten." Das heißt nichts anderes, als dies: "Wir sind alle Sünder, Versager, Nicht-Helden. Wir müssen uns vor uns selbst und vor Gott schämen ob unsere Kleinmuts – wenn wir ehrlich sind."
Ja, das ist meine Finsternis, erkannte Martin Luther.
Das war es ja! Er war kein Held des Glaubens. Verzweifelt fragte er: "wie bekomme ich einen gnädigen Gott?" Anfechtung und Furcht blieben ihm Zeit seines Lebens.
Und auch Dietrich Bonhoeffer ist kein geborener Held. Auch er beginnt und landet immer wieder an diesem Tiefpunkt:
"Wer bin ich ... müde und leer zum Beten, zum Denken, zum Schaffen ... . Vor Menschen ein Heuchler und vor mir selbst ein verächtlich wehleidiger Schwächling?" So hat er sich wirklich gefühlt. Währenddessen sagten andere von ihm, er "trüge die Tage des Unglücks gleichmütig, lächelnd und stolz, wie einer, der Siegen gewohnt ist."
Auch er fragte sich beschämt: "Wer bin ich?"
Beiden, ML wie DB und auch alle anderen sog. Großen Christen, die wir wie Helden ohne Menschenfurcht sehen, allen ging und geht es wie uns: Sie hatten Furcht und zitternde Knie. Sie waren verzagt angesichts ihres schwachen Glaubens und ihres kleinen Mutes.
Was hat sie dann fähig gemacht hat, trotzdem Jesus zu bekennen? Trotz aller Furcht und Scham über das eigene Versagen in Jesu Nachfolge zu bleiben, im Finstern auf ihn hören und dies im Licht zu verkünden, von den Dächern zu rufen und zu predigen ohne Menschenfurcht?
Was hilft uns, uns zu Jesus und seinen Maßstäben zu bekennen?
Eben dies: die Scham und Furcht zugeben, stehen lassen vor Gott: Ja, so bin ich. Ich fürchte mich. Ich schäme mich. Sich nichts vormachen. Dennoch an Gott bleiben. Sich nicht selbst drüber weghelfen.
ML las bei Paulus weiter: "Wir werden gerecht vor Gott ohne Verdienst aus reiner Gnade durch die Erlösung, die durch Jesus Christus geschehen ist." Das ist der feste Boden: im Finstern glauben und vertrauen: Ein Sünder, ich bin wer, weil ich von Gott geliebt bin.
Ich werde nicht von Gott geliebt, weil ich wer bin. Ich bin wer, weil Gott mich Versager liebt.
Das ist die 2. Schicht für festen Boden unter den Füßen: Es ist das große Vertrauen: ich liege Gott am Herzen. Der schon um jeden Spatz weiß, wie viel mehr kann ich mich geborgen wissen und fühlen als Mensch! Bis in die einzelnen Haare bin ich von ihm wahrgenommen, zählt er sie und sieht er mich! Bis in die Haarspitzen hinein liebt er mich! Deshalb:
Und fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, doch die Seele nicht töten können; (fürchtet euch aber viel mehr vor dem, der Leib und Seele verderben kann in der Hölle.
Gerade ihn, den Gott des Lebens, fürchten, das heißt einzig und allein: ihn lieben. Sich auf seine Liebe verlassen; sich an seine Liebe halten.
Dietrich Bonhoeffer spitzt die Paulusworte zu: "Gott liebt den Menschen. Nicht einen Idealmenschen, sondern den Menschen, wie er ist. Was uns verabscheuungswürdig ist in seiner Widergöttlichkeit, wovon wir uns zurückziehen in Schmerz und Feindschaft, der wirkliche Mensch, das ist für Gott Grund unergründlicher Liebe, damit vereinte er sich aufs innigste." Und so endet sein Gedicht "Wer bin ich?" mit den Worten: " Wer ich auch bin, Du kennst mich, Dein bin ich, o Gott!"
Das gibt festen Boden unter die Füße:
Die Worte, die Jesus im Finstern spricht, sie halten uns bei Gott und Jesus. Es sind die Worte, die Jesus ins Finstere der Welt spricht – um sie licht zu machen: dass uns nichts, v. a. nicht unser Versagen von Gott trennen kann.
Auf diesem festen Boden mutet Jesus uns das Bekennen zu: Seine Botschaft von Licht und Gerechtigkeit und Friede soll durch uns hindurch, in jede Zeit und Situation. Durch unser Wort, durch unsere Tat und unser Leben soll sie aller Welt sichtbar und verstehbar werden, ja, Wirklichkeit werden.
Wann dies Bekenntnis sein kann und wie es konkret wird – das liegt nicht an uns oder unserer Entscheidung. Es kommt auf uns zu: es kann sein, sich um Kranke zu kümmern; es kann sein, gegen die Vernichtung der Schöpfung zu protestieren; es kann sein, nicht mit Menschenverächtern gemeinsame Sache machen (..auch wenn sie demokratisch gewählte Volksvertreter sind);
es kann sein, im Stillen einem Menschen helfen oder : in aller Öffentlichkeit Unliebsames sagen um der Würde eines verachteten oder verfolgten Menschen willen.
Und es ist ganz gewiss in unseren Tagen dies: nachdrücklich gegen die Mär vom grenzenlosen und immer weiter Wachsen Stellung beziehen und dabei an die Grenzen allen menschlichen Tuns und unserer Welt erinnern.
Es kann auch sein: in verzweifelter Situation dennoch an Gott bleiben.
Und es war ganz gewiss auch: Einfach ein biblisches Wort öffentlich machen – als Aufnäher für viele Jacken und Mäntel.
Worin Bekennen liegt, das liegt nicht in unserer Hand und Wahl. Doch: wir werden es an der Kraft in unserem Herzen merken, der Kraft, die im Finstern gestärkt wird. Die Kraft zu einem furchtlosen Bekennen wird uns im wahrsten Sinn des Wortes zuge-mutet: Gott selbst stärkt unseren Mut.
Ich bin überzeugt, die Musik ist seine beste Helferin zu solcher Mut-Stärkung. Sie führt uns mit unserem ganzen Gemüt in die Tiefe – sie führt uns so dorthin, dass wir dem Finsteren und Dunklen in unserem Leben Raum geben können – von ihr begleitet.
Und wie wunderbar geleitet sie uns aus tiefster Tiefe, aus höchster Spannung und auch einem Durcheinander von schrägen Tönen zu wunderbaren Harmonien – zu Trost – zu einem gestärkten Herzen.
Mögen viele Menschen im neuen Themenjahr "Reformation und Musik" diese Erfahrung machen: Finsternis aushalten - in der Finsternis lauschen auf Gottes Wort und Verheißung – und sein Wort und seinen Willen sagen und bezeugen können dort und dann, wo und wann es Sache und an der Zeit ist.
Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.