20.09.2020
Predigt zum Eröffnungsgottesdienst der konstituierenden Tagung der V. Kreissynode
19. September 2020, Georgenkirche Eisenach, Superintendent Ralf-Peter Fuchs
Liebe Mitsynodale, liebe Schwestern und Brüder,
Es heißt: „Kritik sei die Aneignungsform der Protestanten.“ Entsprechend wird viel kritisiert und beklagt unter uns und das oft auch zu Recht. Dennoch will - ich indiesem Sinne - heute Morgen einmal kein rechter Protestant sein, sondern ich will sie heute zum Loben verlocken. Ich will sie einladen, aus dem Blickwinkel Ihrer Heimatgemeinden herauszutreten und für ein Viertelstündchen den Gesamtkirchen-kreis in den Blick zu nehmen. Ich will Sie sozusagen zur Vogelperspektive einladen. Wir steigen also gleichsam ein paar hundert Meter – einem Adler gleich - nach oben bis wir zwischen Nazza und Etterwinden, zwischen Sättelstädt und Untersuhl alles gut im Blick haben. Was also gibt es im Blick auf unsere „Kirche“ da zu sehen?
Zunächst einmal das, was man von oben sofort sieht: Da sieht man über 80 Kirchenim Kirchenkreis. Und die wären nicht mehr schön anzusehen, ohne die unzähligen Menschen aus unseren Gemeinden, die diese Kirchen Jahr um Jahr erhalten, pflegen und beleben. Sie richten nicht nur ihre gute, gemeinsame Stube her. Sie erhalten und pflegen auch eine nahezu einzigartige Kulturlandschaft. Sie ehren damit zugleich das Werk unserer Vorfahren und sie tun das heutige so, dass es auch für unsere Nachfahren noch gut ist.
Und dann das, was man hört. Sonntag für Sonntag läuten unsere Kirchenglocken noch übers Land. Man muss ihnen ja nicht folgen. Aber es ist eine klingende Erinnerung daran, dass das Leben einen Rhythmus braucht, einen Rhythmus aus Alltag und Sonntag und nicht jederzeit soll alles sein. Und zu hören gibt es auch viel Kirchenmusik. Fast in jeder unserer Kirchen erklingt noch die Königin der Instrumente, oft gespielt von Ehrenamtlichen. 25 Chöre gibt es im Kirchenkreis, dazunoch Posaunenchöre, Flötenkreise und Instrumentalgruppen. Und viele dieser Gruppen sind selbsterwählte kleine Familien, die miteinander das Glück in ihrer Mitte feiern und den Schmerz in ihrer Mitte miteinander tragen. Über 100 Konzerte gibt esjährlich von den großen Bachpassionen bis zu den kleinen Adventsmusiken, dazu unzählige Auftritte zu Gottesdiensten, Dorffesten, Jubiläen und an den Taufsteinen und Grabsteinen des Lebens.
Und dann die vielfältige Arbeit mit Kindern und Familien in unserer Gemeinden. Wir haben ca. 60 Kindergruppen, dazu Vorschulkreise, Krabbelgruppen, Kinder- und Familiengottesdienste, Freizeiten, Kinderchöre und Familienrüstzeiten. Dort leben unsere Kinder im Festrhythmus des Kirchenjahres. Sie üben sich spielend ein in die Werte und Überzeugungen der Christenheit und kennen noch die großen Erzählungen der Bibel, die zugleich Weltliteratur sind. Und dann die Arbeit mit derJugend in Konfirmandengruppen und bei Konfifreizeiten, in Jungen Gemeinden und Jugendfreizeiten, und überall eine Einübung in die Verantwortung für das Leben und ein Ausprobieren, was im Leben trägt. Und aus der Vogelperspektive sehen wir auch unsere christlichen Kindergärten und Schulen. Da geschieht natürlich das, was in anderen Kindergärten und Schulen auch geschieht. Und doch stehen sie unter dem besonderen Anspruch,die Gottesebenbildlichkeit eines jeden Menschen außerordentlich ernst zu nehmen.
Und da ist unsere Notfallseelsorge. Menschen also, die sich von einer Minute auf die nächste von Kaffeetafeln oder Gartenarbeit aufschrecken lassen, um Menschen anden größten Schmerzpunkten ihres Lebens zur Seite zu stehen. Und dann natürlichdie Diakonie. Sie ist eigenständig gegenüber dem Kirchenkreis. Aber doch sind wir eng verbunden von unseren Wurzeln her und durch eine gute Zusammenarbeit. In zahlreichen Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen, in Beratungsstellen, Selbsthilfegruppen, Alten- und Pflegeheimen, Jugendhäusern, Kindergärten tun die Mitarbeiter der Diakonie dort das, worum Christus uns allegebeten hat: helfen, schützen, unterstützen, aufrichten, trösten, bergen. Und alles das tut Diakonie unter den oft schwierigen wirtschaftlichen Zwängen unserer Zeit.
Und aus der Vogelperspektive könnten wir natürlich auch unsere Gottesdienste sehen, die ob der Besucherzahlen vielbeklagten. Auch sie will ich loben. Nenne mir jemand einen Ort, an dem noch so viel gesungen wird, an dem noch so viel musiziert wird, ein Ort, an dem sich Menschen noch eine zweite Sicht auf ihr Leben leisten, ein Ort, an dem noch viele Kerzen brennen und wenig Neonlicht. Nenne mir jemand eine Organisation, die – so gut esirgend geht - bis in jedes kleines Dorf hinein diese oft wöchentliche Weiterbildung für Herz und Seele anbietet. Über 2000 Gottesdienste im Jahr sind es im Kirchenkreis. Ja, manche Gottesdienste sind schlecht besucht. Da kommen an manchen Sonntagen im Kirchenkreis eben nur 800-1000 Menschen zusammen. Oft sind es aber zwischen 3000 und 4000, die in den Kirchenschiffen sitzen und singen. Und klar: Heilig Abend. Da sind es dann lt. Statistik irgendwo zwischen 14.000 und 20.000. Aber da zählt ohnehin keiner so genau und das ist auch gut so. Und jeder Gottesdienst ist oder kann werden eine kleine Weiterbildung des Herzens,eine Einübung in Verantwortung, eine Ruhestunde für Erschöpfte, ein Fitnessstudio für innere Kräfte, auch ein Netz für Seiltänzer und ein Mantel für Ungeborgene.
Und noch begleitet Kirche so gut es irgend geht Menschen an den Schnittpunkten ihres Lebenslaufes. Unsere Kinder taufen und tauchen wir hinein in das Bewusstsein ihrer Einmaligkeit, ihrer Würde und Himmelsschönheit. Unsere Konfirmanden schicken wir unter der großen Segensgeste hinaus auf ihre Lebenswanderschaft. Den Paaren bereiten wir einen festlichen Start ins schöne, schwere Abenteuer der Zweisamkeit und kein Verstorbener soll von uns gehen ohne unsere Gebete.
Und überhaupt das Gebet. Das Herz unserer Kirche, untauglich für Schlagzeilen, unbemerkt von jeder Öffentlichkeit, ein verborgener Schatz im Acker. Und noch wird ja gebetet in Kirchen, in Kammern, unter Bettdecken. Jedes stille Gebet kann werden ein kleines Reinemachen für die Seele, ein Schutzmantel gegen die Eitelkeit, eine Kraftquelle gegen die Erschöpfung, ein Hausmittel gegen ein enges Herz, einHalteseil gegen die Angst und ab und zu ein staunendes Berührt werden vom Geheimnis des Lebens. Manch Lobgebet ist eine kleine Infusion an Lebenslust. Manch Dankgebet ist ein Schutzschirm gegen den Groll. Manch Fürbittgebet ist eine Einübung ins Mitgefühl. Keiner achte das Gebet gering. Ein durchbetetes Herz ist ein anderes Herz. Ein durchbeteter Raum ist ein anderer Raum. Ein Dorf, in dem noch gebetet wird, ist ein anderes Dorf. Und eine Stadt, in der noch gebetet wird, ist eine andere Stadt.
Und dann ist da noch all das, was ich noch nicht erwähnt habe: Seniorenkreise, ,Hospizgruppen, Klinikseelsorge, Gehörlosenseelsorge, Geistliche Begleiter, Gesprächskreise und die Zusammenarbeit mit unseren katholischen, methodistischen, freikirchlichen Geschwistern. Und die Arbeit der Küster und Verwaltungsmitarbeiter, der Gemeindekirchenräte, der Besuchsdienste, der Lektoren und Prädikanten und schließlich all das, wofür ich nachher Geschimpftes bekomme, weil ich es vergessen habe. Ja, es gibt viel zu sehen, viel zu staunen und viel zu loben.
Warum erzähle ich Ihnen das alles? Ich erzähle es Ihnen, weil Sie ab heute als gewählte Synodale eine besondere Verantwortung für dieses vielgestaltige Ganze haben. Es heißt, die Kreissynode ist das entscheidende Leitungsgremium im Kirchenkreis. Und da ist was dran: Nahezu die gesamte Finanzierung bis in jede Gemeinde hinein läuft hinfort auch über Ihren Sitzungstisch. Sie fällen in den nächsten Jahren die Entscheidungen über Personalstellen und über den Erhalt derGebäude. In ihren Händen liegen die konzeptionellen Richtungs-Entscheidungen für die Herausforderungen unserer Zeit. Das klingt nach Macht, nach Einfluss, nach Führungsverantwortung, nach Kommandobrücke und Steuerruder. Das klingt nach „denen, da oben“ und „denen,da unten“. Aber Christus sagt uns: Wer unter euch groß sein will, der sei euer Diener;und wer unter euch der Erste sein will, der sei euer Knecht,so wie derMenschensohn nicht gekommen ist,dass er sich dienen lasse, sondern dass erdiene und gebe sein Leben zu einer Erlösung für viele (Mt. 20.25-28).Christus sagt nichts, gegen die Notwendigkeit zu leiten und zu führen. Aber er beschreibt inhaltlich, was jede Leitung in der Kirche zu sein hat: ein Dienen. Ich weiß,dieses Wort ist innerkirchlich ein ausgetretenes Wort und droht zur kirchlich-inflationären Worthülse zu werden, aber das ändert nichts daran, dass genau dies„Dienen“ Jesu Anspruch an uns ist. Unsere Leitungsverantwortung als Kreissynode sei ein Dienst an Gott und den Menschen.
Die zentrale Frage im Blick auf den Dienst der Kreissynode an den Menschen in unseren Gemeinden ist also immer: Welche Rahmenbedingen braucht es, dass trotz und angesichts schwieriger Herausforderungen Menschen in diesem vielfältigen Geflecht, das sich Kirche nennt, fröhlich, einladend und lebendig ihren Glauben leben können. Und das andere: Wir sollen Gott dienen. Und das heißt: In allem, was wir als Kreissynode tun, müssen wir wach bleiben für unsere christlichen Überzeugungen und müssen den Einspruch unserer biblischen Texte zuzulassen und im Zweifelsfall Gott mehr glauben, als den Menschen. Ich sage das auch, weil ich weiß, wie schwer das ist. Es gibt auch eine Selbstgenügsamkeit in der Erfüllung von Gesetzen und Verwaltungsvorschriften. Es gibt eine Selbsterschöpfung in der Logik von Verfahrensabläufen und Richtlinien. Es gibt die Magie der Zahlen, die einen um den gesunden Menschenverstand bringen können. Es gibt Eitelkeiten und Egoismen auch unter uns. Es ist nicht leicht, immer die Geister zu unterscheiden, was himmlisch ist und wasmenschlich ist. Es ist nicht leicht, Gott und den Menschen zu dienen. Und doch bleibt es Jesu Anspruch an uns. Wir sollen achtsame Diener Gottes und umsichtige Gehilfen der Gemeinden zugleich zu sein. Das soll der Kern unserer Synodalarbeit in den kommenden Jahren sein. Und das ist auch der Kern Ihres Synodalversprechens, das Sie in diesem Gottesdienst ablegen sollen: Gott und den Menschen zu dienen Und dafür lassen sie uns jetzt Gottes Geist erbitten Wir tun dies mit dem Lied: 124. 1-3 Nun bitten wir den Heiligen Geist