15.12.2020
Lichtblick Advent - 15. Dezember

Ein Wort zum Tage von Pfarrer Manfred Hilsemer

„So seid nun geduldig, Brüder und Schwestern, bis zum Kommen des Herrn“, so steht es im Jakobusbrief. Es geht also ums Warten. Eine Eigenschaft, die uns schwerfällt. Es muss immer etwas geschehen. Es muss ein Gerenne und Gemache sein. Es muss immer Betrieb sein. Wie wohltuend ein Artikel von Kai-Uwe Scholz, der für mich auf sehr beeindruckende Art und Weise das ‚Wartenkönnen' thematisiert. Ich zitiere: „Der Zug hält in meinem Heimatbahnhof. Ich freue mich. Meine Familie hat auf mich gewartet. Da fällt mein Blick auf eine Plakatwand: „Blöd, wer jetzt noch wartet“, schreien mir große, grellbunte Buchstaben entgegen. Ein Medien-Großhandel wirbt für seine Angebote. In der schnelllebigen Konsumgesellschaft bedeutet warten Frust: Gleich zuschlagen und kaufen, heißt die Devise. Wir wollen alles - und am besten sofort! Aber auf keinen Fall warten.“ Soweit das Zitat. Etwas später erzählt der Autor, wie er im Laufe seines Lebens gemerkt hat, wie segensreich das Warten sein kann. Er erzählt: „Jüngst hat die Autorin Friederike Gräff ein Buch zum Thema Warten vorgelegt. Ich will es lesen und nehme es mit ins Wartezimmer meiner Hausärztin. Natürlich erwarte ich, dass ich warten muss. Denkste … Ich komme als Erster dran. Schade eigentlich! Denn später am Tag läuft die Zeit ganz schnell. Die Wartezeit wäre eine stille Zeit gewesen - und ich wäre eine Zeit lang allen Zwängen enthoben gewesen. Warten kann also auch etwas Schönes sein. Einige Wochen später kann ich mich endlich in dieses Buch vertiefen und kurz darauf treffe ich die Autorin zum Gespräch. Komisch: Auch sie kann dem angeblich so ungeliebten Zustand etwas abgewinnen. Sie ist gern immer per Zug in den Urlaub nach Italien gefahren. Seitdem sie fliegt, geht es ihr zu schnell. Es fehlt die Phase der Vorbereitung, die Zeit, dem Ziel auch innerlich entgegenzureisen, entgegen-zu-reifen." Zum Schluss seines Artikels macht der Autor eine Unterscheidung, die mir ganz wichtig geworden ist. Er unterscheidet zwischen perspektivlosem, resigniertem, frustriertem Warten und einem freudigen Warten, einem Warten eben mit Perspektive. Ich darf noch einmal zitieren: „Warten bedeutet: ‚wohin schauen, seine Aufmerksamkeit auf etwas richten‘. Warten im besten Sinne ist also weniger eine passive als vielmehr eine aktive, bewusste Tätigkeit. So wird auch in der Bibel gewartet. Das griechische Wort für ‚warten' ist ‚prosdokan‘. Die Vorsilbe ‚pros‘ macht es deutlich: Im Neuen Testament wird nicht irgendwie dahingewartet, sondern auf etwas gewartet: auf die Verheißung des Vaters, auf das Reich Gottes, auf einen neuen Himmel. Davon können wir Christen von heute uns noch eine Scheibe abschneiden. Auch im adventlichen Warten liegt ein Ersehnen. Wenn Christen ‚des Herrn harren', wie es in altertümlicher Formulierung heißt, dann haben sie noch etwas zu erwarten. Das ist gerichtetes, ausgerichtetes Leben: ganz im Hier und Jetzt - und doch auf die Zukunft hin. Klug, wer jetzt noch wartet!"

Pfarrer Hilsemer, Eisenach

Andacht Hilsemer