31.03.2021
Pedro – eine Ostergeschichte (nach einem Buch von Max Bolliger)
gelesen von Pfarrerin Kathrin Stötzner/ Eisenach
Es war ein schöner Tag. Die Welt war voller Farben und sah aus wie ein fröhliches Bilderbuch. Sogar die Maiskörner in ihren Schalen leuchteten heller als sonst. Pedro, der Hahn, war glücklich. Er hatte auch allen Grund dazu: Er war Vater von zwölf Küken geworden. Sein weißes Gefieder und sein roter Kamm glänzten im Sonnenlicht. Ebenso glücklich wie Pedro war auch Marta, die braungesprenkelte Henne. Sicher gab es weit und breit keine schöneren Kinder als die ihren, so zart und flaumig. Und alle brauchten sie!Nun wusste Pedro, warum Marta in den vergangenen Wochen so still und ein wenig seltsam gewesen war. Nun verstand er, warum sie sich kaum um ihn gekümmert hatte: Sie saß mit halbgeschlossenen Augen auf ihren Eiern. Von Zeit zu Zeit ertönte ein zufriedenes Glucksen aus ihrer Kehle. Pedro lachte. Nun kannte er das Geheimnis, das Marta für sich gehütet hatte. Wenn er seine Kinder betrachtete, platzte er beinahe vor Stolz und Freude. Pedro saß auf dem Pfosten des Gartentores und dachte an seine große Familie.
Plötzlich kamen ein paar Hühner dahergerannt. "Komm!" gackerten sie aufgeregt, "ein Fremder läuft durch den Weinberg." Pedro hörte scheinbar gleichgültig zu, aber er war nicht weniger neugierig als seine Hennen und rannte hinter ihnen her. Sie hatten recht. Im taufeuchten Gras zwischen den Rebstöcken entdeckte er die Fußspuren eines Kindes. Sie zeigten geradewegs nach Jerusalem. Pedro erschrak. Zwischen dem Rebberg und der Straße zur Stadt lag der Hühnerhof. Marta und die Küken waren in Gefahr. Es sind die Fußstapfen eines kleinen Jungen, dachte er unterwegs. Ich weiß, wie unachtsam sie manchmal sind, auch wenn sie nichts Böses im Sinn haben. Unter den Rebstöcken lagen abgerissene Blätter und zerquetschte Beeren. Wie schnell wäre auch eines der Küken zertreten! Als er den Jungen sah, wusste er, dass er sich keine Sorgen zu machen brauchte. Der Junge kniete vor Marta nieder, aber er tat ihr nichts zuleide. Ehrfürchtig und staunend betrachtete er, wie sie alle ihre Küken unter ihre Fittiche nahm. Die Henne Marta schien keine Angst vor ihm zu haben. Unter ihren Flügeln fand auch das schwächste ihrer Kinder Platz. Es ist sicher das erste Mal, dass der Junge eine Henne mit ihren Küken sieht, dachte Pedro. Der kleine Junge war so in den Anblick versunken, dass er Pedro gar nicht bemerkte. Pedro stolzierte auf und ab. Was er sah, kam ihm vor wie ein kostbares Bild. Nie mehr würde er das Gesicht des Jungen vergessen, seine Kinderhände, das aus einem Stück gewobene Kleid und die mit Traubensaft bespritzten Sandalen an seinen Füßen. Von einer unbeschreiblichen Freude erfüllt, hob er seinen Kopf und fing an zu krähen.
Die Jahre vergingen. Pedro war alt geworden. Eines Nachts stand er auf dem Dach neben dem Taubenschlag. Er fand keinen Schlaf. Es war eine unruhige Nacht. Von weitem sah er den Berg Golgatha. Er sah drei kahle Stämme in den Himmel ragen. In der Ferne hörte er Soldaten marschieren. Und selbst im Garten Gethsemane, der sonst so ruhig ist, hörte er laute Stimmen rufen, dazwischen eine klare, ruhige Stimme.Es war Pedro, als würde es nie mehr Tag werden. Das Mondlicht warf lange Schatten auf die bleichen Wiesen. Er beneidete Marta, die geduldig auf ihren Eiern saß und schlief. Pedro hatte Angst und er wußte nicht, warum. Weil Pedro nicht schlafen konnte, wanderte er unruhig durch die Stadt. Er setzte sich auf das Dach eines Hauses. Gegenüber brannte noch Licht. Er sah durch die Fenster einen gefesselten Mann. Vor ihm aufgebrachte Menschen. Sie zeigten auf ihn. Einer schien besonders wütend zu sein. Vor dem Haus waren auch Menschen. Soldaten und Frauen. Sie standen in Gruppen zusammen und unterhielten sich. Einige saßen an einem Feuer. Sie sprachen einen Mann an, der nicht zu ihnen zu gehören schien. Immer wieder schüttelte er den Kopf, hob abwehrend die Hände. Dann rannte er plötzlich weg. Er schien Angst zu haben. Plötzlich krähte Pedro laut. Da blieb der Mann kurz stehen und schaute erschrocken auf. Dann rannte er weiter. Pedro meinte, ihn noch weinen zu hören.
Endlich wurde es Morgen. Hinter dem Berg Golgatha rötete sich der Himmel. Pedro flatterte zum Taubenschlag und schaute zum Berg Golgatha hinüber. Am frühen Nachmittag entdeckte er auf der Anhöhe eine Menschenmenge. Pedro erschrak. Die sonst kahlen Stämme hatten sich in Kreuze verwandelt! Pedro wusste nicht, wer auf dem Berg Golgatha gekreuzigt wurde. Er wusste nicht, dass der Mann der kleine Junge von damals aus dem Weinberg war. Jesus, der vor vielen Jahren als kleiner Junge durch den Weinberg gestreift ist, war tot, am Kreuz gestorben. Viele waren dabei, seine Feinde, die Römer, die ihn verurteilt und getötet haben. Nur wenige seiner Freunde und Freundinnen und seine Mutter schauten zu. Was sie wohl dachten?
Vielleicht das: „Jesus - soviel hat er getan. So vielen hat er geholfen. So viel hat er gezeigt von Gott. Und jetzt? Ist er denn nicht der Retter, den Gott schicken wollte? Wir haben es doch geglaubt und gehofft. Was soll nur werden? Tot ist er! Tot! Alles aus! Vorbei. Wir sind allein. Wer soll uns jetzt noch helfen?“ Sie waren verzweifelt. Es war dunkel um sie. Sie waren traurig, verzagt: Was soll denn nur werden? Etwas Neues sollte werden. Sie wussten es nur noch nicht.
Drei Tage später hatte Pedro seine Angst vergessen Es war früh am Morgen. Die Sonne verbarg sich hinter einem Nebelschleier. Durch den Nebel hindurch sah er in der Ferne Frauen zu einem Grab gehen, vor dem zwei Soldaten standen. Heute würden Martas Kinder aus ihren Schalen schlüpfen. Pedro war überzeugt davon. Im Gras entdeckte er die Fußstapfen der Bäuerin, die nach ihren Hühnern schaute. Sie kniete neben Marta nieder. Behutsam holte sie eines der Eier unter Martas Brust hervor. Es war ein wunderbares Ei. Es lag in ihrer Hand und schimmerte golden. Die Frau spürte, wie warm und lebendig es war.
Vorsichtig legte sie es an seinen Platz zurück und wartete. Auch Pedro wartete. Auch die Grashalmen warteten, die Tautropfen, die Blätter an den Bäumen und die Sterne, die am Himmel verblassten. Die ganze Welt war voller Erwartung, und sogar der Wind hielt den Atem an. Es war so still, dass Pedro in der Ferne eilige Schritte hörte, die sich von dem Grab entfernten. Plötzlich hörte Pedro leise die jungen Küken, die mit ihren Schnäbelchen gegen die Schale pochten, um aus der Dunkelheit ins Licht hervor zu kommen. Und plötzlich war eines da, ein strampelndes Bällchen aus gelbem Flaum. Die Frau lachte. Am Himmel stand groß und strahlend die Sonne. Sie hatte den Nebel besiegt.
Pedro legte seinen Kopf zurück und fing an zu krähen. Sein roter Kamm und sein weißes Gefieder glänzten in ihrer ganzen Pracht. Zu seinen Füßen trippelten die neugeborenen Küken. Und Pedro krähte, wieder und wieder. Es war Ostern! Zum ersten Mal!
Hahn Pedro neu