07.12.2015
Predigt von Dorothee Sattler zu Tob 4,6

Predigt von Dorothee Sattler zu Tobit 4,6 Gehalten am 25. Oktober in der Georgenkirche Eisenach

„Tobias sprach zu seinem Sohn:
Dein Leben lang hab‘ Gott für Augen im Hertzen.
Und hüte dich,
dass du in keine Sünde willigst“ (Tob 4,6 [5])

Liebe Schwestern und Brüder im gemeinsamen Glauben an Christus Jesus,
Kennen Sie die Erzählung, die im biblischen Buch Tobit aufgeschrieben ist? Vielleicht sind Sie am ehesten mit Rafael vertraut – mit jenem Engel, der Tobias, den Sohn des Tobit, begleitet. Der Engel, Rafael, der Gefährte des Tobias, bestärkt uns bis heute in der Hoffnung auf behütete Wege und auf Heilung in Krankheit. Von Gottes Handeln durch den Engel Rafael erzählt das Buch Tobit. Die Namen der biblischen Personen sind bereits eine Botschaft von Gott: Tobit – Tobias: tov im Hebräischen – tov meint „gut“ – gut ist Gott Jahwe – massel tov – sehr gut. raphah im Hebräischen meint „heilen“ – Rafael: Gott heilt.
Tobit – dieses Buch gehört nicht zum hebräischen Kanon der Bibel; es gehört somit nicht zu jener Liste der biblischen Bücher, die im Judentum verehrt werden. Martin Luther hat sich an diesen hebräischen Kanon der Bibel gehalten – vielleicht ist Ihnen in dieser evangelischen Gemeinde das Buch Tobit daher eher unvertraut. Nach römisch-katholischer Zählung gehört das Buch Tobit zur Bibel. Heute blicken wir in der christlichen Ökumene gerne gemeinsam auch auf jene biblischen Bücher, die in eine erweiterte Sammlung aufgenommen worden sind – in die sogenannte Septuaginta, in die Bibel in griechischer Sprache, die im frühen Christentum von sehr hoher Bedeutung war.

Lebensweisheiten sind in dem Buch Tobit in vierzehn Kapiteln aufgeschrieben – in erzählerischer Gestalt – an Lebensgeschichten orientiert, biographisch – spannend, unterhaltsam liest es sich – beispielhaft lassen sich einzelne Szenen auch für unser Leben heute erschließen: Das Buch erzählt von Gott, der Wege weiß, Menschen auch in der Fremde nahe zu sein. Tobit lebt als Jude in Ninive – dorthin, nach Babylon, vertrieben durch die Assyrer. Auch in der Fremde ist der gottesfürchtige Jude jedoch nicht allein. Er kann sein Leben und seinen Glauben bewähren - bewahren, indem er sich an Gottes gute Weisungen hält.
Das Buch Tobit erzählt davon, dass Gott die Menschen von ihren Krankheiten heilen möchte. Gott heilt den erblindeten Tobit; er heilt auch Sara, die Frau seines Sohnes Tobias. Sara ist von einem Dämon, von einer bösen Macht besessen. Sieben Männern hatte der Vater von Sara ihr bereits für die Ehe anvertraut. Diese sieben Männer sind allesamt in der Hochzeitsnacht gestorben. Tobias, der achte Mann, überlebt die Hochzeitsnacht. Kostbar ist die Erzählung vom Gebet der Brautleute Tobias und Sara vor der Hochzeitsnacht. Das Gebet erinnert an die göttliche Gabe der Liebe von Mann und Frau, wie sie in den Schöpfungserzählungen grundgelegt ist. Tobias hatte auf den Rat des Rafael gehört – die nach seiner Weisung zubereiteten Eingeweide eines Fisches – Herz und Leber - retten ihn, sie vertreiben den Dämon. Der Tran eines Fisches – die Galle - ist es später dann auch, durch den Tobit von seiner Blindheit geheilt wird und wieder sehen kann. Nicht zuletzt die Erzählungen vom „Fisch“ – vom heilenden Fisch – waren es, die zu einer christlichen Aufnahme dieses alttestamentlichen Buches beigetragen haben. Der Fisch ist ein altes Symbol für Jesus Christus, den Retter und Heiland – auch heute noch an PKWs beispielsweise – ein Erkennungszeichen für Christinnen und Christen. Die einzelnen Buchstaben des griechischen Wortes für Fisch – ichthüs – lassen sich als eine Grundformel für die Mitte des christlichen Glaubens erschließen: Jesus Christus, Gottes Sohn, ist unser Retter – unser Heiland.

Vielleicht mache ich Sie ein wenig neugierig und Sie lesen das Buch Tobit einmal im Gesamt. Es ist kostbar, dass Sie in Ihrer Gemeinde dem biblischen Buch Tobit mit Wertschätzung begegnen – einzelne Verse in Ihrem Kirchenraum erinnern. Ist es nicht so, dass in den mir zur Auslegung aufgetragenen wenigen Versen die gesamte religiöse Existenz zur Sprache kommt: Ein Leben lang mögen wir das Vertrauen auf Gott allein im Herzen bewahren und uns hüten vor jeder Sünde, vor jeder Bosheit, vor jedem Bruch der Gemeinschaft. Zuinnerst gehören diese beiden religiösen Motive zusammen – in jüdischer wie auch in christlicher Perspektive: zum einen das Bekenntnis zu Gott – Gott im Herzen bewahren - und zum anderen die Suche nach einem Leben in Gerechtigkeit und Liebe in irdischer Zeit.

Der von Ihnen ausgewählte Vers steht im Zusammenhang einer Rede des Tobit an seinen Sohn Tobias. Vor der längeren Reise, zu der der Sohn sich auf den Weg macht, um ein Heilmittel für seinen Vater zu suchen und in deren Verlauf Tobias seiner Frau Sara begegnet, vor dieser Reise erinnert der Vater den Sohn an wichtige Lebensregeln, deren Beachtung die Hoffnung auf den Segen Gottes begründen. Tobit weiß nicht, ob er seinen Sohn wiedersehen wird. Er spricht zu ihm wie in einem Testament. Er trägt ihm auf, für seine Mutter zu sorgen, wenn er, der Vater, bei seiner Rückkehr gestorben sein sollte. Die Eltern ehren in Krankheit und Tod, sie begraben – das ist eine Liebespflicht der Kinder. Konkrete Haltungen, Einstellungen, denen Taten folgen, erwartet der Vater von seinem Sohn: Er möge immerzu wahrhaftig sein – und vor allem: er möge stets barmherzig sein, den Armen und Bedürftigen zugewandt, freigiebig im Teilen. Auch das wenige, was er besitzt, soll er nicht allein für sich behalten. Tobit stellt einen direkten Zusammenhang her zwischen der Liebe Gottes zu dem Menschen und der Liebe des Menschen zu anderen Menschen. Er trägt seinem Sohn auf: „Wende deinen Blick niemals ab, wenn du einen Armen siehst, dann wird auch Gott seinen Blick nicht von Dir abwenden“ (Tob 4,7).

Jesus war Jude. Jesus steht in dieser jüdischen Tradition, in der der enge Zusammenhang zwischen der Liebe zu Gott und der Liebe zu den Menschen als vorrangig betrachtet wird. Jesus hat die Tora, das jüdische Gesetz, die Lebensweisungen Gottes, nicht preisgegeben, nicht in Frage gestellt, nicht zurück genommen. Jesus schärft vielmehr Gottes Weisungen ein – er verstärkt die Gebote – wir haben es im Evangelium gehört: Wir sollen nicht nur unsere Freunde lieben, nein auch unsere Feinde. Gewaltlos sollen wir bleiben – auch dann noch, wenn wir selbst Gewalt erfahren: nicht zurückschlagen, sondern sich schutzlos füreinander öffnen; nicht nur das erbetene Hemd geben, auch den Mantel noch dazu; nicht nur eine Meile mitgehen, freiwillig auch zwei; einander etwas borgen, etwas verleihen ohne daran zu denken, ob wir etwas zurück erhalten. Vollkommene Liebe erwartet Gott von uns – diese Botschaft mutet Jesus uns in seiner Auslegung der Gebote Gottes zu. Jesus war Jude. Gemeinsam sprechen Juden und Christen von der Einheit der Gottes- und Nächstenliebe.

Ich möchte mit drei Gedanken schließen – unter einer Vorbemerkung: Ich nehme bei meinen drei Gedanken Bezug auf meine Wahrnehmung unserer Situation als Christinnen und Christen in unserem Land. Auch wir leben – wie Tobit – in der Diaspora, verstreut sind wir, wenige sind wir, die bekennenden Christinnen und Christen, weniger und weniger werden wir in allen Konfessionsgemeinschaften – nicht nur im Osten Deutschlands. Wir leben wie Fremde unter Menschen, die unseren christlichen Glauben nicht teilen. Gerade diese Situation ermutigt uns dazu, unser christliches Bekenntnis in enger ökumenischer Verbundenheit zu leben. Als Getaufte sind wir berufen, gemeinsam die österliche Hoffnung zu bezeugen, die uns auch angesichts des Todes, des unvermeidlichen Geschicks aller Geschöpfe, nicht mutlos macht. Jesus lebt, und auch wir sind zum Leben berufen – auch als Sünderinnen und Sünder, die wir trotz aller Anstrengung, vollkommen zu werden, immerzu bleiben werden. Die Sünden und ihre Folgen sind wie eine Krankheit, die uns schwächt. Jesus Christus ist der wahre Heiland, der Arzt, der aus allen Krankheiten erretten kann – retten auch aus dem Tod.

Nun meine drei abschließenden Gedanken im Anschluss an das Schriftwort aus dem Buch Tobit: „Dein Leben lang hab‘ Gott für Augen im Hertzen. Und hüte dich, dass du in keine Sünde willigst“:
Der erste Gedanke: Tobit hat seinem Sohn Tobias aufgetragen, den Blick nicht abzuwenden von den Armen, den Bedürftigen, den Leidenden, die ihm auf seinem Lebensweg begegnen. Mögen die Menschen in unserer Nähe uns als solche erleben: als Menschen, die die Liebe Gottes zu allen Geschöpfen auch in Taten bezeugen. Auch das wenige, das wir haben, können wir teilen. Manchmal überzeugt eine stille Tat mehr als viele Worte. Sie leben in Eisenach in einem Ort und in einer Landschaft, in denen die Heilige Elisabeth, die Heilige der Nächstenliebe, vielfach in ökumenischer Gemeinschaft Gedächtnis erfährt.
Der zweite Gedanke: Wir sollen im Herzen Gott immerzu vor Augen haben. In der Diaspora, in der Fremde, ist das Leben mit Gott nicht selten sehr einsam – eine einsame Herzenssache. Es bedarf dann jedoch immer wieder der Orte und der Zeiten in einer christlichen Gemeinschaft, um sich wechselseitig zu bestärken, um einander Trost zu schenken, sich zu ermutigen und zu ermahnen, zu singen, zu sprechen und zu feiern. Sie sind heute zur Feier des Wortes Gottes gekommen. Für dieses Zeugnis Ihres Glaubens danke ich.

Der dritte Gedanke – ein letzter: Die Frage, ob es Gott gibt und ob seine Engel uns begleiten, lässt sich nicht theoretisch beantworten. Wir müssen uns auf den Weg machen und das Leben an uns geschehen lassen. Rückblickend auf unsere Lebenswege sehen wir manchmal die Spuren des Weggeleites Gottes. Wir sind dazu berufen, mit allen Menschen über ihre Lebensgeschichten zu sprechen – manchmal ist es nicht leicht, darin das Weggeleit Gottes zu erkennen. Wir gehen gleich hinaus zu den Menschen. Vielleicht können wir für einzelne zu Engeln werden, die andere begleiten und sie zur Heilung führen – Heilung an Leib und Seele. Ohne den heilenden Fisch, ohne Jesus Christus, wird dies nicht gelingen. Nur in Gemeinschaft mit Christus Jesus haben wir Hoffnung angesichts der Sünde und auch noch im Tod – so bekennen wir Christinnen und Christen in der Ökumene gemeinsam.

Amen