13.11.2018
Salz der Erde, Licht der Welt

Predigt zum "Gottesdienst in allen Kirchen" am 31. Oktober 2017 

Zu Beginn unserer Zeitrechnung lebten im Römischen Reich um die 50 Millionen Menschen. Am Rande eines ziemlich unbedeutenden Dorfes saß damals ein Mann auf einem Berghügel. Vermutlich hatten sich nicht viel mehr als ein paar Dutzend Menschen um ihn gelagert: Kinder, Bauern, Handwerker, Männer, Frauen. Darunter ein paar Jünger, wohl auch Neugierige, Skeptiker, Kritiker. Eine kleine Schar, die einer außergewöhnlichen Botschaft lauschte, inmitten von 50 Millionen Menschen in gewohnten Bahnen. Wenn man damals schon unsere schönen Choräle gehabt hätte, dann hätte man als Eingangs- und Schlusslied zur Bergpredigt singen können: „Verzage nicht, du Häuflein klein“.

Zu diesem vielgestaltigen, verlorenen Häuflein sprach jener Mann auf dem Hügel wohl das erste Mal jenes zeitlos gewordene Wort: Ihr seid das Salz der Erde. Ihr seid das Licht der Welt.

 

Und nun sitzen wir heute Morgen hier zusammen in der Kirche von .....  Geschätzte ... Menschen von ca. 170tausend Einwohnern in Eisenach und Wartburgkreis und 2,1 Millionen in Thüringen. Wir feiern zusammen in diesem Gottesdienst 500 Jahre Reformation. Hinter uns liegt ein Jahr, in dem von unzähligen Podien, Kanzeln, Rednerpulten und Tribünen die Bedeutung der Reformation gelobt wurde. Mit Zeitungsartikeln und Büchern, mit Festen und Kirchentagen feierte man die weltweite Wirkungsgeschichte der Reformation. Und wir dürfen uns vorstellen, dass Jesus jetzt auch zu uns sagt: Ihr seid das Salz der Erde. Ihr seid das Licht der Welt.

 

Eine Prise Salz ist zwar wenig im Vergleich zu ein paar Litern Suppe, aber ohne diese Prise, schmeckt die ganze Suppe nicht. Es kommt nicht immer auf die Menge an. Manchmal reichen wenige Menschen aus, um viele andere auf den Geschmack zu bringen. Das mag eine Binsenwahrheit sein. Aber es ist eine wichtige Binsenwahrheit. Achten Sie nur einmal darauf, wie oft in Kirche und Gemeinde über zu geringe Zahlen geklagt wird. Diese Lust zum arithmetischen Pessimismus dürfte uns Jesus jetzt erst einmal versalzen haben.

 

Allerdings:  Allein, dass wir wenige sind, macht uns noch nicht zum Salz der Erde oder zum Licht der Welt. Allein das „Häuflein klein“ ist es noch nicht. Und auch deshalb fügt Jesus gleich hinzu: Wenn nun das Salz nicht mehr salzt, womit soll man salzen?  Es ist zu nichts mehr nütze, als dass man es wegschüttet.

Das hat Jesus nicht gesagt mit Blick auf unseren Salzstreuer im Küchenschrank. Das hat er auch gesagt mit Blick auf seine Zuhörer in der Kirchenbank. Nicht nur das Salz, auch Menschen können fade und geschmacklos werden. Auch unter uns kann gehaltlose Banalität einziehen. Da möchte man schon gerne wissen, wie das geht: Salz zu sein und Licht zu werden. Und dafür  lohnt es sich am Reformationstag noch einmal auf die Reformatoren zu blicken. Man kann ihnen vielleicht manches vorwerfen, aber nicht, dass sie das Abendland nicht ordentlich durchgewürzt hätten. Manche Suppe hatten sie sogar gehörig versalzen: nicht nur beim Ablasshandel.  Da war viel gutes Salz!  Da war „Licht der Welt“. Schauen wir also noch einmal kurz zurück:

 

Die unglaubliche Wucht der Reformation hatte viel mit dem Reformstau in der spätmittelalterlichen Kirche und Gesellschaft zu tun. Der Handel mit dem Ablass, war hier nur eine Spitze des Eisberges. Die Reformatoren hatten sich gegen die vielfältigen Verkrustungen ihrer Zeit gestellt. Sie hatten aufbegehrt gegen die Selbstgenügsamkeit der Institutionen.

Sie taten dabei etwas Entscheidendes: Sie machten nicht ihren Ärger, ihre Wut oder ihre persönlichen Einsichten zum Programm. Sie propagierten sich nicht selbst zur Alternative für Deutschland. Sie trauten der Bibel das Entscheidende zu. Die Reformatoren riefen die Bibel zum Zeugen gegen die Irrwege ihrer Zeit auf den Plan. Sie holten mit der Heiligen Schrift die konzentrierte Glaubens- und Lebenserfahrung der Jahrhunderte an den Tisch des Konfliktes. Sie machten sich das biblische Wort und die Botschaft des Auferstandenen zum Verbündeten.

 

Mit unsrer Macht ist nichts getan,

wir sind gar bald verloren.

Es streit' vor uns der rechte Mann,

den Gott selbst hat erkoren

 

Das Wort sie sollen lassen stahn…

Er ist bei uns wohl auf dem Plan

mit seinem Geist und Gaben.

 

Die Reformatoren hatten nicht nur etwas, wogegen sie waren. Sie hatten vor allem etwas, wofür sie waren. Sie hatten etwas, was ihnen so lieb und teuer war, um dafür zu streiten. Sie hatten Heilige Texte und einen Herrn der Welt, der durch diese Texte hindurch zu ihnen sprach. Sie trugen ein Licht durch die Zeit, das sie sich nicht selber angezündet hatten. Sie hatten ein Salz, das sie geschmackvoller und würziger machte, als sie selbst waren.

 

Salz der Erde und Licht der Welt werden wir als Christen nicht, weil wir so großartig und besonders wären. Das sind wir nicht. Wir sind alle ziemlich oft - ziemlich gewöhnlich. Aber wir haben heilige Texte, die noch mehr und anderes zu sagen haben, als wir mit unserem Leben schon abdecken könnten. Wir haben heilige Texte, denen wir es zutrauen, unser Gewissen zu schärfen, unser Herz zu bilden und unsere Hände zu führen. Wir haben biblische Worte, denen wir es zubilligen, uns zu widersprechen und unsere eigenen Belanglosigkeiten aufzudecken. Wir tragen Geschichten mit uns, die unsere Hoffnung nähren und unsere Sehnsucht locken. Wir leisten uns Texte, die uns zwicken, wenn wir nur noch um uns selber kreisen. In unseren Händen halten wir ein Buch, das uns nötigt, Dinge zu sehen, die unsere Bequemlichkeit manchmal übersehen will.  Wir wissen um Geschichten von einem gelingenden Leben, die es verbieten, uns an alles hier zu gewöhnen. Wir haben Texte mit einem Geist, der nicht von dieser Welt ist, und diese Texte sind - oft genug - aktueller, als die Zeitung von morgen.  

 

Wir halten einen Schatz in unseren Händen, der es wert ist gezeigt, gesagt, gelebt zu werden. Man soll zeigen, was man liebt und für liebens- und lebenswert hält.  Man zündet auch nicht ein Licht an und setzt es unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter; so leuchtet es allen, die im Hause sind. Lasst euer Licht leuchten vor den Leuten, spricht Christus.

 

Wenn man im Abenddunkel in einem Flugzeug beim Landeanflug sitzt, dann sieht man unter sich lauter Lichterteppiche aus Tausenden von Lichtern. Man stelle sich vor, überall da, wo ein Mensch aus dem Geist Christi spricht, handelt und lebt, überall da würde ein Licht leuchten:

Ein Licht da, wo ein Mensch die Hände eines anderen in seinen Händen birgt, in Hospizstationen, an Krankenbetten, an Sterbebetten. Ein Licht dort, wo ein Mensch widersteht, wenn um Christi willen widerstanden werden muss. Ein Licht dort, wo ein Mensch die Hände faltet, aus Dankbarkeit, in der Bitte, in der Fürbitte für andere. Lichter dort, wo Menschen in der Sprache der Musik anderen die Herzen öffnen - in Chören und Instrumentalkreisen.  Lichter dort, wo sich Kinder in die Gewissheiten unseres Glaubens einspielen und Jugendliche darum ringen. Ein Licht da, wo ein Mensch aufrichtet und stärkt, was um Christi willen aufgerichtet und gestärkt werden muss.  Ein Licht dort, wo jemand im Geiste Jesu um Frieden ringt, in Kleinfamilien, Dorffamilien oder Völkerfamilien. Und als im Mai unzählige aus unseren Gemeinden zusammen mit anderen ihre Ideen und ihr Können zusammenlegten zu einem großem Fest – da war viel Licht. Viel Licht auch jetzt, wenn heute Morgen Christen in allen Orten des Kirchenkreises zusammenkommen, um miteinander verbunden zu sein im Singen, Beten und Hören. Wenn man all das sehen könnte, sähe man so manchen Lichterteppich wie bei einem abendlichen Landeanflug.

 

Sicherlich, es gab und gibt in der Kirche auch viel zu beklagen. Aber man muss auch den eigenen Reichtum wahrnehmen. Man kann nur aus einem Schatz austeilen und weitergeben, wann man auch sieht, dass man einen Schatz hat.  Wer nur die Kargheit betrachtet, der hat nichts zum Verschenken.

 

Es heißt, wir sollen Gott mehr gehorchen, als den Menschen. Dann sollen wir ihm auch mehr gehorchen, als unserer eigenen Selbsteinschätzung. Und ER hat gesagt: Ihr seid das Salz der Erde. Ihr seid das Licht der Welt. Lasst Eure Licht leuchten vor den Menschen. Und traut Gott in, mit und gelegentlich auch gegen unser Tun das Entscheidende zu, denn:  Eine feste Burg ist unser Gott.