12.11.2018
Über die Farben des Reformationsparaments
Predigt zur Übergabe der Paramente an die Gemeinden - Superintendent Ralf-Peter Fuchs
Im 19.Jahrhundert gab es einen deutschen Missionar in Russland (Dr. Baedeker 1823-1906). Er missionierte in den Gefängnissen Sibiriens. Aber die Menschen dort konnten nicht lesen. Sie konnten nicht schreiben. Und so erfand der Missionar eine „Bibel ohne Worte“. Das Buch bestand aus vier Seiten. Die vier Seiten bestanden aus vier Farben. So auch das Parament der Wartburg - vier Farben. Eine Bibel ohne Worte.
Grün
Grün- Im Kirchenjahr die Farbe vor allem für die Sonntage der Trinitatiszeit (Sonntag nach Pfingsten bis Ewigkeitssonntag). Grün – die Farbe für die Natur, die Schöpfung –einerseits. Grün-die Farbe der Hoffnung – andererseits. Denn: Es gibt zwei Quellen, aus denen wir leben. Es gibt zwei Wahrheiten, aus denen wir leben.
Die eine Quelle und Wahrheit: Da sind wir Menschen Natur, Schöpfung, Erdenkinder, Grünlinge, erdhaft, bodenständig, gebunden an Heimat und Boden. Jeder Mensch ist als Erdenkind ein Wunderwerk, so schön, so einfach, so kraftvoll, so vielgestaltig, so wie alles in der Natur schön, einfach, kraftvoll und vielgestaltig ist. Aber so wie alles in der Natur auch gefährlich, zerstörerisch und unberechenbar sein kann, so kann jeder Mensch auch gefährlich, zerstörerisch und unberechenbar sein. Und so wie alles in der Natur auch endlich, sterblich und vergänglich ist, so ist jeder Mensch und alles was er tun kann in seinem Leben auch endlich, sterblich, vergänglich. Der Mensch ist Natur. Das ist des Menschen einer Ursprung, seine eine Herkunft, sein eines Schicksal, sein eines Wesen, sein eines Ende.
Aber der Mensch hat ein zweites Wesen, ein zweites Schicksal. Sein zweites Wesen ist die Hoffnung. Die Hoffnung ist nicht von dieser Welt. Die Hoffnung in uns ist Himmelslicht, Ewigkeitshauch, Zukunftslockruf, Geist der Sehnsucht. Mit der Hoffnung werden wir beatmet von den unsichtbaren Kräften des Himmels. In der Hoffnung sind wir über uns hinaus. Die Natur lehrt uns, die Dinge so zu nehmen, wie sie sind. Die Hoffnung lehrt uns, nichts so zu nehmen, wie es ist. Die Natur ist bescheiden. Sie hat nur, was sie hat. Die Hoffnung ist unbescheiden, sie erhebt sich über das, was ist und greift weit aus ins Land des Gelingens. Die Hoffnung streckt sich nach einer geheilten Welt, auch wenn noch nichts geheilt ist.
Der Mensch ist geistlich gesund, solange er mit einem Fuß auf der Erde steht und mit dem anderen Fuß im Land der Hoffnung steht. Ohne Hoffnung wird uns die Natur zur Selbstwiederholung und zur Schwermut. Ohne Bodenständigkeit wird die Hoffnung zur Illusion. Der Mensch bleibt geistlich gesund, solange er Erdenkind und Himmelkind; bodenständiges Geschöpf, aber voller Sehnsucht; Natur und Hoffnung zugleich ist. Wir bleiben gesund, solange wir im sterblichen Gehäuse Freigeister bleiben und in unserer hoffnungslosen Endlichkeit Hoffende bleiben.
Wahrer Mensch und wahrer Gott, heißt es von Christus. Wahrer Erdling- wahrer Himmelsgeist zugleich. Grün: die Farbe der Natur. Die Farbe der Hoffnung. Die Farbe unseres doppelten Wesens.
Rot
Rot – Im Kirchenjahr die Farbe für Pfingsten, Reformation, Konfirmation und Kirchweih - die Feste der Kirche. Rot – die Farbe der Liebe, die Farbe des Feuers, die Farbe des Blutes - des Blutes der Märtyrer.
Es gibt eine Erzählung in vielen Völkern, in vielen Varianten und von großer Wahrheit und Tiefe. Sie erzählt von den Engeln, von den geistlichen Wesenheiten, voller Schönheit, voller Leichtigkeit nicht geboren und nicht sterblich. Aber die Engel können nicht lieben. Wenn ein Engel lieben will, dann hat es einen Preis. Er muss seine Ewigkeit aufgeben und ein endliches, sterbliches Wesen werden. Wer die Schönheit der Liebe kennen will, der kann es nur im sterblichen Gewand, so erzählt es die alte Geschichte.
Vielleicht waren wir alle, die wir hier sitzen, einst Engel, die ihre Ewigkeit aufgeben haben, um die Schönheit der Liebe zu kennen. Nur dafür sind wir da. Wir sind sterblich geworden, um zu lieben. Wer liebt, ist verletzlich, macht sich verwundbar. Wenn du aber nicht verletzlich sein willst, wenn du nicht verwundbar sein willst, dann musst du aufhören zu lieben. Dann werden die Tränen seltener, aber das Lachen auch. Der Schmerz wird seltener, aber das Glück auch. Du kennst nicht mehr so viele Täler des Lebens, aber auch immer weniger die Höhen. Das Leben wird zum Flachland. Und deine Jahre haben keine Jahreszeiten mehr. Die Schönheit der Liebe und die Verletzlichkeit und Verwundbarkeit gehören zusammen. Liebe und Tod gehören zusammen. Man kann es nicht auflösen.
Martin Luther hat gesagt: Gott ist ein glühender Backofen voller Liebe, der da von der Erde bis an den Himmel reicht.“ Gott hat sich verwundbar gemacht, um zu lieben. Ein Gott am Kreuz – gekreuzigter Gott. Rot – die Farbe der Liebe, die Farbe des Blutes- des Blutes der Märtyrer.
Violett.
Violett – im Kirchenjahr die Farbe der Advents- und Passionszeit. Violett- die Farbe der Buße. Buße ist eine Freiheitskunst. Ein Wort für die Würde des Menschen. Aber wir haben dies vergessen.
Wir hören bei Buße zuerst: sich klein machen, schuldig sein, nur noch Asche sein, Asche aufs Haupt. Und weil wir nicht klein sein wollen, ersetzen wir jede Verfehlung, jede Schuld sofort durch Erklärungen fremder Ursachen, widriger Umstände oder zwangsläufiger Verstrickungen. Schuld ist die verzwickte Familiengeschichte oder die unglückliche Vaterbeziehung oder die gesellschaftlichen Verhältnisse oder die Politik oder eine unglückliche Kette von Umständen oder eine tiefenpsychologische Prägung oder die genetische Veranlagung. Schuld ist der Nachbar oder der unmögliche Chef oder der andere, der angefangen hat.
All diese Erklärungen und Begründungen mögen entlastend wirken, sie mögen nicht einmal falsch sein, und dennoch nehmen sie einem Menschen die Würde, noch ein Mindestmaß an Eigenverantwortung für sein Leben zu haben. Wer immer nur die anderen schuld sein lässt, behauptet damit im Grunde, dass er als Mensch nur noch Spielball der Fremdbestimmung ist oder ein gedankenloses Treibholz im Strom der Umstände. Er behauptet, nur noch klägliches Rädchen im Getriebe der Verhältnisse oder ein willenloses Objekt der unmöglichen Rahmen-Bedingungen zu sein. Was bleibt von der Würde eines Menschen übrig, wenn er nicht einmal mehr schuldig sein kann? „Die Bestreitung der Schuldfähigkeit ist der erste Schritt zur Selbstverholzung des Menschen.“ (Seffensky)
In der Buße dagegen liegt eine große Kraft. Es ist die Kraft trotz aller schwierigen Umstände, Verantwortung zu übernehmen für sein Leben und damit Subjekt seines Lebens zu bleiben. Wer das eigene Versagen zulassen kann, behält sich die Möglichkeit der Reifung und Selbstgestaltung seines Lebens. Man kann keine neuen Wege gehen, wenn man sich für die alten Wege als unzuständig erklärt. Ein „Rädchen im Getriebe“ und ein „Spielball der Umstände“ kann weder reifen, noch etwas ändern. Buße ist der erste Schritt in eine neue Freiheit in Würde. Die wache Klarheit der Reue ist der erste Schritt in den Morgen eines neuen Lebens. Der große geistliche Lehrer Igumen Nikon schreibt in einem seiner Seelsorgebriefe den erstaunlichen Satz: Bitte Gott, den Herrn, innig um die größte und notwendigste aller Gaben: die eigenen Sünden zu sehen und darüber zu weinen. Wer diese Gabe besitzt, besitzt alles.
Violett- die Farbe der Buße.
Weiß
Weiß- im Kirchenjahr die Farbe der Christusfeste – Weihnachtsfestkreis und Osterfestkreis. Weiß die Farbe des Lichtes, der Reinheit, der Freude – die Christusfarbe. Weiß ist keine Spektralfarbe, sondern entsteht durch ein Gemisch aus Einzelfarben. Weiß - die Nicht-Farbe, in der die Farben gebündelt sind und aus der sich die Farben entfalten. Weiß war das Leichentuch am Karfreitag. Weiß war das Gewand des Engels am Ostermorgen. Weiß ist die Flagge, die man hisst, damit die Waffen schweigen. Weiß - die Christusfarbe. Im Weiß ist alles zusammengefasst, aus Weiß entfaltet sich alles: Das Grün- wahrer Mensch- wahrer Gott, Natur und Hoffnung zugleich. Das Rot- die verwundbare, verletzliche Liebe. Das Violett, der Schoß, der die Reumütigen birgt. In Christus ist alles zusammengefasst. Aus ihm entfaltet sich alles.
Eine neue, andere, unfassbare Geschichte nimmt in Christus ihren Anlauf - inmitten einer alten Welt. Gott bindet noch einmal den Anfang los. Ein kraftvolles leuchtendes Wunderbeben aus Hoffnung, Vergebung und Liebe beginnt die Welt wach zu rütteln. Die Zwangsläufigkeiten sind zu Ende. Die Lieblosigkeit von gestern zwingt uns zu nichts mehr. Die Schuld von gestern bindet dich nicht mehr zu neuer Schuld. Neuanfänge unserer verwundeten Seele. Neuanfänge für jedes am Dunkel der Welt bitter gewordenes Herz. Christus hat uns für Neuanfänge bereitet.
Weiß - die Nicht-Farbe, in der die Farben gebündelt sind und aus der sich die Farben entfalten.
Vier Farben. Vier Farben – eine Bibel ohne Worte. Vier Farben - das Parament der Wartburg. Einfach, klar erzählt es von den inneren Wahrheiten der Welt.
Danksagung
Und diese Bibel ohne Worte haben wir einer Künstlerin zu verdanken. Sie hat ihre Inspiration fassbar, greifbar, sichtbar, sinnlich gemacht. Frau Christl Prange aus Halle.
Ich bitte Sie nach vorne zu kommen
Und wenn diese „Bibel ohne Worte“ am 500. Gedenktag der Reformation alle unsere Kirchen im Kirchenkreis schmückt, so haben wir dies 15 weiteren Frauen zu verdanken. Sie haben in den vergangenen Monaten viele Tage gesessen, um uns diese Paramente für jede Kirche zu schneidern: Frau Elvira Aue aus Eisenach, Frau Christa Beck aus Eisenach, Frau Anneliese Engel aus Mihla, Frau Heidi Gernand aus Marksuhl, Frau Edith Klug aus Eisenach, Frau Katrin Kunze aus Eisenach, Frau Anja Lembke aus Dippach, Frau Gabi Liebergeld aus Wutha-Farnroda, Frau Silge Michel aus Marksuhl, Frau Heidi Ortmann aus Wutha-Farnroda, Frau Dorothea Raatz aus Mihla, Frau Ingrid Rach aus Hörselberg-Hainich, Frau Dorothea Schuchardt aus Oberellen, Frau Christine Voigt aus Bischofroda. Frau Annelie Weisheit aus Mihla. Ich bitte Sie nach vorne zu kommen.
Dieses Projekt wäre nie zu Stande gekommen, ohne das Mut machen, die Beratung, die Ideen, die fachliche Unterstützung und umsichtige Begleitung der Mitarbeiter der Eisenacher Paramentenwerkstatt: Frau Gabriele Backhaus und Frau Christa Reise. Ich bitte Sie nach vorne zu kommen.
Und dass diese beiden Frauen uns so vielfältig unterstützen konnten, wäre nicht möglich gewesen, ohne den Rückenhalt des Fördervereins der Eisenacher Paramentenwerkstatt, der das Projekt auch finanziell unterstützt hat. Ich bitte Frau Gundula Eckert, die Vorsitzende des Fördervereines der Paramentenarbeit am Diakonissenmutterhaus in Eisenach nach vorne zu kommen.
Dass all diese vielen Menschen immer jemanden als Ansprechpartner für´s Koordinieren, für´s Unterstützen, für´s Beschaffen, für´s Organisieren hatten und dass all die vielen unscheinbaren Zusatzarbeiten wie von unsichtbarer Hand erledigt worden, das haben wir Herrn und Frau Langhammer zu danken. Ich bitte Sie nach vorne zu kommen.
Und schließlich: Dass wir morgen in allen Kirchen nicht nur ein Parament haben, sondern auch miteinander im Agapemahl von einem Brot bzw. einem Brotteig essen, das haben wir zu danken der Bäckerei der Hörselmühle Schönau: Ich bitte Anne Katrin Wolf und Mario Wolf nach vorne zu kommen.