05.10.2024
"Das Licht scheint in der Finsternis" (Joh.1.5) oder über die Schwierigkeiten weihnachtlicher Planwirtschaft.

eine Erzählpredigt

Weihnachten ist seit altersher ein Fest, zu dem wir die großen Wahrheiten und Weisheiten des Lebens in kleinen Geschichten erzählen: ein Erzählfest. Und so habe auch ich mich umgeschaut nach einer kleinen Weihnachtsgeschichte und bei Familie Mayer fündig geworden. Familie Mayer ist frei erfunden in der Hoffnung, dass Sie keine Familie Mayer kennen. Und wenn Sie doch eine kennen sollten, ist es mit Sicherheit nicht die, von der ich erzähle, denn die ist – wie gesagt- frei erfunden. Und so will ich die Auslegung eines Verses aus dem Johannesevangelium heute einmal in die Hände von Familie Mayers legen. Zumal Mayers in diesem Jahr ihre ganz besondere Weihnachtsgeschichte erlebt haben. Also:

DAS LICHT SCHEINT IN DER FINSTERNIS (Joh 1.5)

ODER

ÜBER DIE SCHWIERIGKEITEN WEIHNACHTLICHER PLANWIRTSCHAFT

Alle Jahre wieder zur Weihnachtszeit führen Mayers ihr ganz persönliches familiäres Krippenspiel auf. Es kann sein, dass Mayers das noch gar nicht so bemerkt hatten, aber so ist es: Alles beginnt wie in der Weihnachtsgeschichte: ES BEGAB SICH ABER ZU DER ZEIT, DASS EIN GEBOT AUSGING........Dieses Gebot geht bei Mayers natürlich nicht von Kaiser Augustus aus, sondern es geht von Mutter Mayer aus. Sie übernimmt spätestens ab dem dritten Advent die familiären Regierungsgeschäfte. Mutter Mayer macht dann Listen: Einkaufslisten, Erledigungslisten, Geschenkelisten, Besuchslisten. Eine Liste mit den Namen aller, die eine Grußkarte erhalten. Und dann natürlich die große Heilig-Abend-Liste, auf der man ersehen kann, wer mit wem in die Kirche geht, wer den Weihnachtsbaum aufstellt, wer ihn schmückt, wer sich um die Gans kümmert, ab wann sie im Ofen stehen muss und wer den Kartoffelsalat am Heiligen Abend macht und so weiter und so fort. Und damit auch ja keiner vergisst, sich in die Listen einzutragen, macht Mutter Mayer das gleich selber und verteilt alle Aufgaben. Auf diese Weise ist in der Weihnachtszeit die ganze Familie ordentlich unterwegs, zwar nicht von Nazareth nach Bethlehem, aber oft von zu Hause zu Rewe und Lidl und über den Weihnachtsmarkt zurück. Mutter Mayer will halt alles im Griff haben. Es muss halt alles seine Ordnung haben, nicht gleich in der Völkerfamilie wie damals bei Kaiser Augustus, aber wenigstens in der Großfamilie von Mayers.

Vater Mayer übernimmt eher die Rolle eines Hirten. Mayers haben zwar keine Landwirtschaft und keine Schafe, aber wenn sie irgendwo ein Stück Feld oder Wald besessen hätten, dann wäre Vater Mayer in der Weihnachtszeit vermutlich dort zu finden. Aber da sie weder Wald noch Feld haben, ist Vater Mayer meist in seiner Hobbykellerwerkstatt verschwunden. Und manchmal schauen dann auch der Schweigers Willi und der Schafsbergers Bernd aus der Nachbarschaft vorbei. Und dann sitzen sie zu dritt in der kleinen Werkstatt statt ums Hirtenfeuer um das alte Elektroheizgerät herum. Und dann schimpfen sie über die Politik und die Welt ganz wie die Hirten in manchem Krippenspiel. Und zwischendrin geht Vater Mayer dann seiner Hüte-Arbeit nach: Weihnachtsbaumkerzen reparieren Weihnachtsbaumständer auffrischen, all das eben, was Mutter Mayer ihm an Reparaturleistungen zugedacht hatte.

Die Rolle der Könige übernimmt am ehesten Lieschen Mayer. Im Weihnachts- Countdown sitz sie nahezu unangefochten auf ihren Thron. Und dieser Thron Ist Vaters Fernsehsessel. Und statt durchs Fernrohr, schaut sie durch den Fernseher in die weite Welt hinein: Und dann sieht sie „Marias kleiner Esel“ auf KIKA und „Michel in der Suppenschüssel“ auf ZDF. Eben alles, was Mutter Mayer ausgesucht hat, damit, Lieschen Mayer nicht auf die Idee kommt, mit ständigen Fragen, Wünschen; Neugierde und Quengelei Mutters Ordnung durcheinander zu bringen.

Sohn Mayer hat eigentlich keine richtige Rolle in der Mayerschen Weihnachtsgeschichte. Meist ist er nicht da und irgendwo unterwegs. Aber wenn er mal da ist, ist er vor allem wegen seiner spätpubertären Kommentare gefürchtet. So auch am 4. Advent. Alle waren nach dem Abendbrot noch zusammen. Oma Mayer hatte Lieschen gerade die Weihnachtsgeschichte in einer etwas romantischen Fassung vorgelesen. Und Mutter schaute seufzend zu Ihrem Mann und sagte: „Siehst du wohl, Schatz, wie lieb sich der Josef um seine Maria gekümmert hat, das war noch wahre Liebe.“ Sohn Mayer stand auf, und bevor er das Zimmer verließ, sagte er noch mit leicht ironischem Unterton: „Ja, Ja, zwischen Mutters weihnachtlicher Planwirtschaft und Vaters Einsiedlertum im Hobbykeller hat es die Liebe schon nicht leicht. Ich geh jedenfalls noch mal zu meiner Freundin“ sagte es und verschwand.

Aber das war alles noch gar nichts gegen den Heiligen Abend, denn da sollte es bei Mayers in diesem Jahr richtig Dicke kommen.

Eigentlich hatte alles nach Mutters Plan geklappt: Gegen 17.00 Uhr kamen Lieschen Mayer und Oma Mayer aus der Kirche. Abendbrot war für 18.30 Uhr geplant, danach Bescherung. Der Kartoffelsalat war bereitet und die Würstchen mussten nur noch warm gemacht werden. Die Gans für den nächsten Tag war schon im Ofen. Der Weihnachtsbaum war aufgebaut. Die Lichterkette musste nur in die Steckdose gesteckt werden. Die Weihnachtsmusik für die Bescherung lag als CD schon bereit. Und Lieschen Müller durfte bis zum Abendbrot auf KIKA noch „Bartolomäus und der wahre Weihnachtsmann“ sehen.

Aber dann geschah es: Plötzlich mit einem Schlag war alles zappenduster. Vater und Mutter Mayer eilten zum Fenster. Überall war das Licht aus, keine Straßenlaterne brannte mehr, in keinem Haus mehr Licht. „Das darf doch nicht wahr sein“, schimpfte Vater Mayer. „Da zahlst du ordentlich deine Stromkosten und es wird eh immer teurer und dann knipsen die Dir zu Weihnachten das Licht aus. Ich ruf da jetzt an“, rief er wütend, aber dann fiel ihm ein, dass sein Handy leer war und der Festanschluss ohne Strom auch nicht funktionierte. Sohn Mayer sagte, dass jetzt wohl doch die Weltuntergangsprophezeiung aus dem Maya Kalender etwas verspätet eintrifft. Was aber keiner lustig fand.  Und dann kam auch noch Lieschen  heulend in die Stube. Sie wollte natürlich unbedingt wissen, wie es mit dem Weihnachtsmann bei Bartolomäus weitergeht, aber auch im Fernsehen war es jetzt zappenduster. Mutter Mayer versuchte noch zu trösten. „Bestimmt ist der Strom gleich wieder da“, sagte sie noch. Aber der Strom kam nicht.

„Kann mal jemand ein paar Kerzen holen?“ rief Mutter Mayer. „Welche Kerzen?“, antwortete Vater Mayer. „Die Kerzenreste vom vergangenen Jahr hast du Lieschen fürs Kerzengießen im Kindergarten mitgegeben und neue Kerzen standen auf keinem Einkaufsplan“. „Woher soll ich denn auch wissen, dass das Licht ausgeht, so etwas kann man doch beim besten Willen nicht planen“, antwortete Mutter Meyer. Eine Zeitlang blieb es still in der Stube der Mayers. Aber dann fing Mutter Mayer an zu schluchzen. Und unter Tränen sagte sie: „Die Würstchen sind noch kalt und wenn kein Strom kommt, wird die Weihnachtsgans auch nichts mehr, und ein Weihnachtsbaum ohne Kerzen, die sind alle elektrisch, und keine Weihnachtsmusik und ich hatte so schöne Musik zur Bescherung ausgesucht. Ich hatte alles so gut geplant und jetzt ist das ganze Fest im Eimer“ sagte es und weinte gleich noch mehr. Vater Mayer wollte schon sagen, dass Heulen jetzt auch nicht weiterhilft. Aber ich weiß nicht, ob es ein Engel war oder sein Herz, jedenfalls verkniff er sich diesen Satz und ging stattdessen zu seiner Frau und nahm sie still in den Arm und streichelte ihr Haar. Lieschen Mayer war gerührt und sagte ganz leise: „Jetzt seht ihr ja aus wie Maria und Josef im Krippenspiel. Da nimmt der Josef die Maria auch immer in den Arm, wenn es mit der Herberge nicht geklappt hat. Und Sohn Mayer dichtete leise: Ja, romantisch wird die Heilige Nacht, wenn´s in der Stromversorgung kracht. Aber auch er verkniff sich diesmal den Kommentar.

Und dann tastete Lieschen Mayer sich durch die Dunkelheit in ihr Zimmer und kam mit der Kerze zurück, die sie im Kindergarten aus den Resten vom vergangenen Jahr gegossen hatte. Vater Mayer entzündete die Kerze und plötzlich war die Familie in ein warmes Licht getaucht, fast so wie auf einem Rembrandt- Gemälde. Dann hatte auch Vater Mayer eine Idee: In seiner Jackentasche hatte er noch eine kleine LED-Taschenlampe, die holte er jetzt. Und dann machten Mayers Bescherung. Alle saßen um den Tisch, auf dem die eine Kerze stand. Immer einer bekam ein Geschenk und während Vater Mayer die Taschenlampe auf das Geschenk richtet, wurde es im Lichtkegel der Taschenlampe ausgepackt. Immer abwechselnd kam einer dran. Und wenn Vater Mayer mit Geschenkauspacken dran war, hielt Sohn Mayer die Taschenlampe. Früher waren zur Bescherung alle in ihre Geschenkecken gerannt. Und jeder hatte seine Geschenke ausgepackt und nach einer Viertel-halben Stunde kamen alle wieder zusammen, um sich „Danke“ zu sagen. Aber jetzt, wenn einer sein Geschenk auspackte, fieberten alle ein klein wenig mit, und alle freuten sich ein wenig mit. Und dann der nächste, Mitfiebern, Mitfreuen. Und dann der nächste, Mitfiebern, Mitfreuen. Und zwischendrin lasen sie sich gegenseitig Weihnachtskarten vor. So ging es wohl eine Stunde lang im Licht der kleinen Taschenlampe und irgendwie kam eine ganz seltsame, schöne Stimmung auf in der Stube der Mayers.

Und als alle Geschenke ausgepackt waren, fing Lieschen Mayer an, „Kling Glöckchen klingelingeling“ zu singen. Und nach einer Weile stimmten alle ein, und sangen so schön wie die Engel über dem Bethelehmsfeldern ganz original und ohne CD. Und dann kam noch „Oh Tannenbaum“. Und damit es nicht ganz so neuheidnisch bei Mayers zuging, stimmte Oma Mayer im Anschluss gleich „Stille Nacht“ an und alle sangen leise mit. Ja, so viel Stille und so viel Nacht war es bei Mayers schon lange nicht mehr gewesen. Und wohl noch nie hat dieses Lied so gut gepasst wie an diesem Abend. Und am Ende sprach Lieschen Mayer: „Jetzt fehlt nur noch das Christkind.“ Aber da sprach Oma Mayer hinter ihre Brille ganz leise: „Ich glaube, das Christkind war heute schon da.“ „Wo war es denn, Oma?“ fragte Lieschen. Und Oma Mayer antwortete: „Ich glaube – und dann blieb es einen Augenblick still- ich glaube, das Christkind hat uns heute das Licht ausgemacht. Und das hat das Christkind so gemacht, damit uns heute ein anderes Licht aufgeht - ein Himmelslicht. Denn es heißt:

DAS LICHT SCHEINT IN DER FINSTERNIS

UND DIE FINSTERNIS HATS NICHT ERGRIFFEN

DAS WAR DAS WAHRE LICHT;

DAS ALLE MENSCHEN ERLEUCHTET:

Ja, manchmal müssen erst unsere menschlichen Pläne ein wenig durcheinander geraten, damit die Güte und Schönheit der Heiligen Nacht bei uns Einzug hält.

Ihnen allen eine gesegnete Weihnacht.