04.05.2020
Corona - kurz und knapp - 9. Mai

Ein Wort zum Tage von Pfarrer Armin Pöhlmann

Als der Prophet und Richter Samuel im Auftrag Gottes nach Bethlehem kam, um für das Volk Israel einen König zu salben, da wurden ihm die Söhne Isais vorgeführt, einer nach dem anderen. Es waren stolze, starke Männer, und jeder schien der Königskrone würdig. Aber Gott schärfte Samuel ein, sich nicht von seinen Augen täuschen zu lassen. Er sagte zu ihm: „Der Mensch sieht, was vor Augen ist, der HERR aber sieht das Herz an (1. Samuel 16,7).“

Der erste Gottesdienst unter Corona-Bedingungen liegt in Eisenach hinter uns. Was mir besonders im Gedächtnis hängt, sind die Mund-Nasen-Schutzverhüllungen. Wenn ich Menschen in der Kirche begrüße, möchte ich Sie freundlich anlächeln, damit sie wissen, dass sie willkommen sind. Das geht nicht mehr, und auch ich kann die Gesichter der Menschen nicht mehr lesen. Jemand sagte zu mir: „Man weiß ja gar nicht, wer hier sitzt.“

Ich versuche jetzt, mit meiner Stimme besonders zu betonen, und lege noch etwas Extrafreundlichkeit drauf, wenn ich jemanden grüße. Vielleicht, so denke ich mir, gelingt es mir auch, meine Augen besonders strahlen zu lassen, damit die Menschen es bemerken. Zweifel und Ärger lassen sich ja auch zum Teil an den Augenbrauen ablesen. Nun ja, es bleibt Notbehelf.

„Der Mensch sieht, was vor Augen ist, der HERR aber sieht das Herz an (1. Samuel 16,7).“ Wenn alle Menschen Masken tragen, dann gewinnt dieses Wort noch einmal eine ganz andere Bedeutung. Eigentlich kann ich ja niemals in einen Menschen wirklich hineinsehen. Trotzdem genehmige ich mir Urteile über andere, zuweilen sogar vom ersten Blick her. Dabei ist Gott der einzige, der in den Menschen hineinsehen kann, hinter alle Masken.

Ist die Maske nur ein Hindernis, oder kann sie mich auch etwas lehren? Der erste Blick reicht nicht, bei weitem nicht. Es braucht einen zweiten, dritten, und immer wieder neue Blicke auf einen Menschen, bis ich überhaupt nur die Oberfläche wahrgenommen habe. Und das gilt auch für mich, der ich hinter meiner Maske stecke. Die anderen werden mich nicht gleich richtig wahrnehmen und verstehen. Ich muss meine Worte mit Bedacht wählen. Das führt, wenn es gut geht, zu mehr Achtsamkeit.

Samuel bekam am Schluss noch den kleinen David vorgeführt, der unter den Söhnen Isais der Unscheinbarste gewesen ist. Er war von Gott erwählt, obwohl er zunächst nicht so aussah. Die Bibel ist voll von Geschichten, in denen sich Menschen vom äußeren Schein täuschen lassen, und in denen Gott einen Plan verfolgt, der zuerst einmal gar nicht absehbar ist. Dass der Mensch das sieht, was er gerade vor Augen hat, Gott aber hinter die Dinge sehen kann, das gilt anscheinend nicht nur für Menschen, sondern überhaupt für die Umstände des ganzen Lebens. Warten wir ab, was Gott auch in dieser Zeit für uns bereithält!

 

Pfarrer Armin Pöhlmann, Eisenach

 

Das Bild stammt von Finja Köhler aus dem Georgenkinderchor.

 

Andacht 3 Pöhlmann